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Zweiter Brief
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Editionsbericht
Werkverzeichnis
Literatur: August Wilhelm Schlegel
Literatur: Die Horen
Der Dichter, so rühmten von jeher die glühenden Bewunderer seiner Kunst, ist vor allen andern Sterblichen ein begünstigter Liebling der Natur, ein Vertrauter und Bote der Götter, deren Offenbarungen er jenen überbringt. Die irdische Sprache, die nur zu unverkennbar die Spuren des Bedürfnisses und der Eingeschränktheit, welche sie erzeugten, an sich trägt, kann ihm hiezu nicht genügen; die seinige athmet in reinem Aether, sie ist eine Tochter der unsterblichen Harmonie. Fast ohne daß er selbst es weiß, verwandelt sich auf seinen Lippen das Wort in Gesang. Das Entzücken, womit er das von oben empfangne wieder ausströmt, wird die Belohnung seiner Wohlthat. Leicht und frey wie auf Flügeln wird er über das Loos der Sterblichkeit hinweggehoben, und der heilige Schimmer, der seine begeisterte Stirn verklärt, fordert Anbetung von seinen erstaunten, hingerissenen Zuhörern.
Aber ach! (verzeih mir die getäuschte Erwartung, liebste Freundin, wenn anders mein feyerlicher Ton dich irreführen konnte) dieser Dichter ist selbst nur ein Ge[78]schöpf der dichtenden Phantasie. Wie viel anders erscheint er in der Wirklichkeit, wenn man ihn in seiner Werkstätte belauscht! Denn er hat eine Werkstätte wie jeder andre Künstler. Wohl nur scherzend hat man sie mit einer Schmiede verglichen: hier scheinen nicht so wohl Donnerkeile wie auf dem Ambos der Cyklopen, als Nadeln zugespitzt zu werden. Das schönste Gedicht besteht nur aus Versen; die Verse aus Wörtern; die Wörter aus Sylben; die Sylben aus einzelnen Lauten. Diese müssen nach ihrem Wohlklange oder Uebelklange geprüft, die Sylben gezählt, gemessen und gewogen, die Wörter gewählt, die Verse endlich zierlich geordnet und an einander gefügt werden. Doch dieß ist noch nicht alles. Man hat bemerkt, daß es das Ohr angenehm kitzelt, wenn nach bestimmten Zwischenräumen gleichlautende Endungen der Wörter wiederkehren. Diese muß der Dichter also aufsuchen, und oft einer einzigen wegen das ganze Gebiet der Sprache von Westen bis Osten durchstreifen. Bey großer Anstrengung körperlicher Kraft findet noch ein gewisses erhebendes Gefühl Statt: aber was kann für den langweiligen Fleiß, für die kleinliche Sorgfalt entschädigen, womit ein vollendetes Gedicht allmählig zusammenbuchstabirt wird? Wie muß dieß alles den erhabnen Geist demüthigen, der des Umganges mit Göttern gewohnt ist! Gewiß, der Fluch der Mühseligkeit, der sich über alles menschliche Thun verbreitet, drückt ihn vorzüglich hart. Auch an ihn ergeht eine drohende Stimme: Im Schweiße deines Angesichtes sollst du Verse machen! Mit Schmerzen sollst du Gedichte zur Welt bringen.
Ich bitte dich indessen, liebe Amalie, was ich dir hier anvertraue, ja nicht weiter zu erzählen. Du würdest [79] mich unfehlbar in üble Händel mit der Zunft verwickeln, für deren Mitglied du mich aus unverdienter Güte zählen willst. Sieh, das ist eben das schlimmste. Andre wackre Leute dürfen sich wenigstens ihrer Arbeit nicht schämen; ja sie finden eine Erleichterung darin, es unverhohlen zu äußern, daß ihre Geduld oder ihre Kräfte der Erschöpfung nahe sind. Um den Dichter wäre es geschehen, wenn er sich nur von fern etwas dergleichen merken ließe. Er muß sich knechtischem Zwange mit der stolzen Miene der Freyheit unterwerfen. Seine mit Fesseln beladenen Hände und Füße bewegt er zum leichten anmuthigen Tanze. Du glaubst, er ruhe wohllüstig auf Rosen, während er sich auf dem Bette des Prokrustes peinlich dehnt oder krümmt.
Freylich gelingt es auch nicht immer damit. Irgend ein hartnäckiges Wort will nicht aus seiner Stelle. Ein Reim, ein einziger, unerbittlicher Reim ist hinlänglich, um ihn in dem kühnsten und glücklichsten Fluge aufzuhalten. Stundenlang ruft er diese spröde Echo, ohne daß sie ihm antwortet. Ja, nicht selten bricht der geheime und anhaltende Zwiespalt zwischen Gedanken und Ausdruck auf der einen, Sylbenmaaß und Reim auf der andern Seite in so heftige Thätlichkeiten aus, daß er, unvermögend die Rechte beyder Parteyen zu schonen, zu einem Machtspruch genöthiget wird, wodurch er es mit dem Ohr oder dem Geiste seiner Zuhörer, oder auch wohl mit beyden verderbt.
Hiemit hängt der Umstand zusammen, der dich gewiß in deiner Meynung von der geringen Wichtigkeit metrischer Vollendung bestärkt hat, und sie in der That zu be[80]günstigen scheint: daß nähmlich die größten Originaldichter oft ein gewisses Ungeschick zum Versbau verrathen, und sich mehr als billig darin erlauben. Wem Bilder und Gedanken wie etwas Fremdes und Zufälliges gleichsam von außenher gegeben werden, der kann leicht verändern und vertauschen, weglassen und hinzusetzen. Der selbstständige Geist hingegen, welcher sie tief aus seinem Innern schöpft, würde bey diesen Umwandlungen an seinem theuersten Eigenthum, ja gewissermaaßen an seiner Person leiden. Nicht zum Dienen erschaffen, unterwirft er sich daher das Sylbenmaaß; und sollte selbst der Ausdruck hier und da ins Gedränge kommen, er bleibt unbekümmert dabey. Es ist zweifelhaft, ob Dante und Shakespeare, auch in einem mehr gebildeten Zeitalter, sich um Tasso's und Popens glückliche Geschmeidigkeit beworben hätten, und noch zweifelhafter, ob es ihnen damit gelungen wäre. Wenn sich indessen jene unabhängige Fülle nicht mit diesem Talent in derselben Organisation verträgt, so macht sie es auch entbehrlich.
Vielleicht bist du mir bey der obigen, leider nicht übertriebnen Schilderung schon mit den Fragen zuvorgeeilt, die sich hier natürlich darbieten: Wozu also jene Einschränkungen? Ist das Sylbenmaaß der Poesie wesentlich? Ist es nicht vielmehr unnatürlich, die Ergüsse eines bewegten Herzens, einer entflammten Einbildung, eines ganz von seinem Gegenstande erfüllten Geistes, nach einer mechanischen Regel abzumessen? Und sollte man den Dichter nicht mehr über die Thorheit seines Vornehmens als über die Schwierigkeit der Ausführung beklagen? Es ist unläugbar, daß nur die Allgemeinheit der Sitte das Fremde und Auffallende, was darin liegt, unsrer Be[81]merkung entziehen kann. Aber eben dieß muß uns auch vor einer zu raschen Beantwortung jener Fragen warnen. Ueberall finden wir die Poesie vom Sylbenmaaß begleitet, damit verschwistert, davon unzertrennlich. Sein Gebrauch erstreckt sich also fast eben so weit als die bewohnte Erde; seine Erfindung ist nicht viel jünger als das Menschengeschlecht.
Bey einer so allgemeinen Ansicht verdienen einige neuere Ausnahmen (bey den Alten würde man sie vergeblich suchen) kaum erwähnt zu werden. Ganz allgemein ist das Sylbenmaaß bey keinem heutigen Volke von der Bühne verbannt worden; wenn der dramatische Dichter diesen Schmuck verwirft oder vernachläßigt, so muß er zugleich alle Ansprüche auf eigentlich dichterische Schönheiten des Dialogs aufgeben, und selbst der tragische Schauspieler thut in diesem Falle wohl, den Kothurn abzulegen. Dieß kann daher eher für eine Beschränkung des Gebietes der Poesie gelten als für eine Erweiterung, wie man sie bei der sogenannten poetischen Prose im Sinne gehabt zu haben scheint. Wirst du es auf dich nehmen, dieser zweydeutigen Erfindung eine Schutzrede zu halten? Der Nahme weißagt nicht viel Gutes, und wenn man sich bey den Alten nach etwas Aehnlichem umsieht, so wird man unglücklicher Weise an die Romane der spätern Sophisten erinnert. Denn es gilt ziemlich gleich, ob rhetorische Anmaaßung, oder eine Art von dichterischem Unvermögen eine solche Gattung erzeugt, die, indem sie die ausschließenden Vorrechte der Poesie und Prose vereinigen will, die ächte Vollkommenheit beyder verfehlt. Bemerke auch, daß sie unter den neuern Sprachen am besten in der Französischen gediehen ist, welche mehr den Zwang [82] als die Musik der Sylbenmaaße kennt. Es mag ihr also hingehen, daß sie sich für eine Verwahrlosung der Natur an der Kunst zu rächen sucht. Bey einigen geschätzten Werken dieser Art unterscheidet man billig den Geist der Urheber von dem Werthe der von ihnen gewählten Form.
Jene Uebereinstimmung der verschiedensten Völker und Zeiten läßt sich unmöglich zu einem willkührlichen, zufälligen Einverständnisse herabsetzen. So unstatthaft es ist, von der Allgemeinheit einer Meynung auf ihre Wahrheit zu schließen, wie man oft gewagt hat, so zuverläßig berechtigt uns die Allgemeinheit einer Sitte, ihr Gültigkeit für den Menschen zuzuschreiben, zu behaupten, sie gründe sich auf irgend ein körperliches oder geistiges Bedürfniß seiner Natur. Strenge genommen ist überhaupt nichts im menschlichen Thun willkührlich, auch das nicht, woran sich keine Spur von Absicht wahrnehmen läßt: wenn man sich vornimmt, einmahl ohne allen Grund bloß nach Willkühr zu handeln, so ist eben dieß schon der Grund, welcher den Willen bestimmt; und am unwillkührlichsten handeln wir unter dem Einflusse dunkler Antriebe, die sich unserm Bewußtseyn entziehen. Zufällig nennen wir in Werken und Anordnungen des Menschen, was nicht durch wesentliche Verhältnisse nothwendig bestimmt, sondern durch fremde Umstände hervorgebracht wird. Was daher unter ganz entgegengesetzten Einwirkungen des Himmelstrichs und der Lebensweise, bey der abweichendsten Mannigfaltigkeit der Anlagen, und auf jeder Stufe ihrer Entwickelung immer wieder, dem Wesen nach unverändert, hervorgeht: wie könnte man das für zufällig erklären?
[83] Hieraus folgt unläugbar, daß der <rhythmische> Gang der Poesie dem Menschen nicht weniger natürlich ist als sie selbst. Beydes ist keine überlieferte Erfindung, sondern eben so einheimisch in den erstarrten Wüsten längs dem Eismeere wie auf den lieblichen Südseeinseln; am Ontario wie am Ganges. Ueberall wo nur Menschen athmeten und lebten, empfanden und sprachen, da dichteten und sangen sie auch. Dieß bezeugt die älteste Sage der Vorwelt, die selbst nur durch den Mund der Poesie zu uns redet; die Beobachtung ungebildeter roher Völker legt es uns täglich vor Augen.
In ihrem Ursprunge macht Poesie mit Musik und Tanz ein untheilbares Ganzes aus. Der Tanz hat in allen seinen Gestalten, von der einfachsten Natur bis zu den sinnreichsten Erweiterungen der Kunst, vom Freudensprunge des Wilden bis zum Noverrischen Ballet, nie die Begleitung der Musik entbehren gelernt. Dagegen bestehen jetzt Poesie und Musik ganz unabhängig von einander: ihre Werke bilden sich vereinzelt in den Seelen verschiedner, oft sich mißverstehender Künstler, und müssen absichtlich darauf gerichtet werden, durch die Täuschung des Vortrages wieder eins zu scheinen. Es ist mit diesen Künsten wie mit den Gewerben ergangen. In den altväterlichen Zeiten trieb jeder sie alle für seine eigne Nothdurft; mit dem Fortgange der geselligen Ausbildung schieden sie sich mehr und mehr. Der absondernde Verstand hat sich selbst an dem Eigenthume des Dichtungsvermögens geübt, dessen Wirksamkeit im Verknüpfen besteht. Je mehr er die Oberhand gewinnt, desto mehr gelingt es ihm, jeden Zusammenhang zu lösen, der sich nicht auf die Begriffe zurückführen läßt. Als[84]dann spielt er gern den Ungläubigen und behauptet, was seine Geschäftigkeit zerstört hat, sey nie wirklich vorhanden gewesen. Aber der geheimste Zusammenhang ist oft auch der innigste; eben weil er nicht auf dem, was der Begriff erschöpft, sondern auf solchen Beschaffenheiten der Dinge beruht, welche nur durch die unmittelbare Anschauung aufgefaßt werden können, das heißt, auf ihrem eigentlichen Leben. Wir dürfen ihn nicht wegzuklügeln suchen, weil wir ihn bloß fühlen: denn was nicht ist, kann nicht auf uns wirken.
Die Sprache, die wunderbarste Schöpfung des menschlichen Dichtungsvermögens, gleichsam das große, nie vollendete Gedicht, worinn die menschliche Natur sich selbst darstellt, bietet uns von dem, was ich eben sagte, ein auffallendes Beyspiel dar. So wie sie auf der einen Seite, vom Verstande bearbeitet, an Brauchbarkeit zu allen seinen Verrichtungen zunimmt, so büßt sie auf der andern an jener ursprünglichen Kraft ein, die im nothwendigen Zusammenhange zwischen den Zeichen der Mittheilung und dem Bezeichneten liegt. So wie die gränzenlose Mannigfaltigkeit der Natur in abgezognen Begriffen verarmt, so sinkt die lebendige Fülle der Töne immer mehr zum todten Buchstaben hinab. Zwar ist es unmöglich, daß dieser jene völlig verdrängen sollte, weil der Mensch immer ein empfindendes Wesen bleibt, und sein angebohrner Trieb, Andern von seinem innersten Daseyn Zeugniß zu geben, und es dadurch in ihnen zu vervielfältigen, (wie sehr ihn auch die Herrschaft des Verstandes, der sein Wesen, so zu sagen, immer außer uns treibt, schwächen möge) doch nie ganz verloren gehen kann. Allein in den gebildeten Sprachen, hauptsächlich in der Gestalt, [85] wie sie zum Vortrage der deutlichen Einsicht, der Wissenschaft gebraucht werden, wittern wir kaum noch einige verlohrne Spuren ihres Ursprunges, von welchem sie so unermeßlich weit entfernt sind; wir können sie fast nicht anders als wie eine Sammlung durch Uebereinkunft festgesetzter Zeichen betrachten. Indessen liegt doch jene innige, unwiderstehliche, eingeschränkte, aber selbst in ihrer Eingeschränktheit unendliche Sprache der Natur in ihnen verborgen; sie muß in ihnen liegen: nur dadurch wird eine Poesie möglich. Der ist ein Dichter, der die unsichtbare Gottheit nicht nur entdeckt, sondern sie auch andern zu offenbaren weiß; und der Grad von Klarheit, womit dieß noch in seiner Sprache geschehen kann, bestimmt ihre poetische Stärke.
Ich hatte dir vorgeworfen, du wärest bey deinem seelenvollen Vorlesen doch in Gefahr, einem Gedichte hier und da Schaden zuzufügen, oder wenigstens nicht alle Schönheiten gelten zu machen, weil du dich niemahls im mindesten um die Verskunst bekümmert hast. Du wolltest dieß zwar nicht eingestehn, doch einige prosodische Erörterungen dir wohl gefallen lassen, wenn sie nur recht kurz und bündig wären; und nun findest du dich unversehens von der Mühe, die es heut zu Tage unsern Dichtern kostet, die Geburten ihrer Phantasie in Verse, oder, wie die ehrlichen Alten sagten, in Reime zu zwingen, bis zum Ursprunge der Poesie, ja bis zur ersten Entwickelung der Sprache weggerückt. Schreibe dieß indessen lieber jener sinnreich bemerkten Aehnlichkeit zwischen der Sprache der Philosophie und dem Dithyramben, als der Absicht zu, dich mit Hinterlist in theoretische Untersuchungen der Kunst zu verstricken, vor welchen ich deine Ab[86]neigung kenne. Du weißt, daß ich selbst die Theorie, an sich betrachtet, nicht liebe, sondern sie nur als ein nothwendiges Uebel ansehe. Sie ist für die Poesie der Baum der Erkenntniß des Guten und Bösen: sobald diese davon gekostet hatte, war ihr Paradies der Unschuld verloren. Das Glück des goldnen Zeitalters bestand darin, keine Gesetze zu bedürfen; aber in dem unsrigen können wir leider so wenig in der Kunst als in der bürgerlichen Gesellschaft ihrer entrathen. Der Eifer mancher warmen Freunde des Schönen gegen sie darf sich daher, um nicht unbillig zu seyn, nur wider die Machtgebote des Systems oder des Vorurtheils, welche man für ächte Gesetze der Kunst ausgiebt, oder wider die gesetzgebende Anmaaßungen des Philosophen in einem ihm fremden Gebiete auflehnen. Diesem Misverständnisse wäre vielleicht vorgebeugt worden, wenn man der Theorie, statt des wissenschaftlichen Vortrags, die mehr anziehende historische Form geliehen hätte. Sie kann sie annehmen: denn indem man erklärt, wie die Kunst wurde, zeigt man zugleich auf das einleuchtendste, was sie seyn soll. Auch ist nicht zu besorgen, die Ansichten der Theorie möchten dadurch beschränkt werden; sie hat vielmehr Erweiterung davon zu hoffen. Eben deswegen haben ja viele Kunstrichter ein so enges Regelgebäude errichtet, weil sie nur die Werke ihres eignen Volkes und zwar im Zeitalter der künstlichen Bildung vor Augen hatten; weil sie sich nie bis zur Weltgeschichte der Phantasie und des Gefühls erhoben. Welch ein weiter Horizont ist es, der alles uns bekannte Schöne der Poesie, was jemahls irgendwo unter den Menschen erschien, in sich faßt! Gewiß, der Forscher hat keine Ursache, sich darüber zu beklagen, daß er jenseits desselben nichts wahrzunehmen vermag, und es [87] dem dichtenden Geiste überlassen muß, die noch nicht vorhandne Vortreflichkeit vorherzusehen.
Meine Absicht ist, dir darzuthun, daß das Sylbenmaaß keinesweges ein äusserlicher Zierrath, sondern innig in das Wesen der Poesie verwebt ist, und daß sein verborgner Zauber an ihren Eindrücken auf uns weit größern Antheil hat, als wir gewöhnlich glauben. Ich unternehme es nicht, hiebey von allgemeinen Grundsätzen auszugehen, weil mir das meiste von unsrer so wunderbar zusammengesetzten äussern und innern Organisation abzuhängen scheint, welche wir als eine Thatsache erst aus einzelnen Beobachtungen kennen lernen. Eine förmliche Geschichte der Metrik würde bey mir weit mehr Kenntnisse, bey dir vielleicht mehr Geduld erfodern, als wir beyde haben. Indessen dürfen wir doch nicht bey den Werken unsrer heutigen Dichtkunst stehen bleiben, deren musikalischer Theil, ganz vernachläßigt, beynah verstummend in Büchern aufbewahrt wird. Hier erscheint sie uns durch Erfindungen des geschäftig müßigen Witzes so vielfach bereichert oder entstellt und dem Eigensinn der Gewohnheit oft so unterthänig, daß wir in Gefahr kommen möchten, das Ursprüngliche und Unwandelbare in ihr vergebens zu suchen, oder, fänden wir es auch, es nicht für das, was es ist, anzuerkennen. Nein, laß uns in jene früheren Zeiten zurückkehren, wo die erst unmündige, bald kindliche, dann jugendliche Kunst (wenn sie anders da schon diesen Nahmen tragen soll, der die Vorstellung von besonnenen Absichten und von kühlem Ueberrechnen der Wirkung eines Verfahrens erregt) von der gütigen Natur selbst gepflegt und erzogen ward. Diese Wandrung wird wohlthätig für uns seyn; wir werden [88] sie nicht in Gesellschaft jenes höchst verfeinerten Geschmacks anstellen, welcher oft nur in Empfindlichkeit gegen oberflächliche Berührungen bei einer gänzlichen Erstorbenheit des innern besteht.
Die Folge meiner Betrachtungen war etwa diese. Der Zwang des Sylbenmaaßes scheint bey der Aeusserung lebhafter Vorstellungen und nachdrücklicher Regungen nicht natürlich, und daher auch mit der Absicht des Dichters, sie andern so vollkommen als möglich mitzutheilen, im Widerspruch zu seyn. Dennoch tritt die Poesie überall und zu allen Zeiten in irgend einer gemessenen Bewegung auf. Dieß muß, wie jede durchaus allgemeine Sitte, seinen Grund in der menschlichen Natur haben, dem man am leichtesten im Ursprunge derselben nachspüren kann, weil Absicht und Ueberlegung sich da noch am wenigsten in die Spiele des sicher leitenden Instinktes mischen. Poesie entstand gemeinschaftlich mit Musik und Tanz, und das Sylbenmaaß war das sinnliche Band ihrer Vereinigung mit diesen verschwisterten Künsten. Auch nachdem sie von ihnen getrennt ist, muß sie immer noch Gesang und gleichsam Tanz in die Rede zu bringen suchen, wenn sie noch dem dichtenden Vermögen angehören, und nicht bloß Uebung des Verstandes seyn will. Dieß hängt genau mit ihrem Bestreben zusammen, die Sprache durch eine höhere Vollendung zu ihrer ursprünglichen Kraft zurückzuführen, und Zeichen der Verabredung durch die Art des Gebrauches beynah in natürliche und an sich bedeutende Zeichen umzuschaffen.
Hier bin ich nun auf den Punkt gelangt, wovon ich wieder auszugehen wünschte. Ich mußte dir diesen Zu[89]sammenhang wenigstens in flüchtigen Zügen entwerfen, damit du mich nicht beschuldigtest, ich mache es wie jener Sänger des Trojanischen Krieges, der vom Ey der Leda anhob, oder wie so mancher Chronikschreiber, der die Begebenheiten seiner kleinen Ortschaft unmittelbar an die Geschichte der Schöpfung anschließt. Laß mich erst in den einfachen Anlagen zur Metrik den Beweis ihrer Wichtigkeit, ich möchte sagen ihrer Unentbehrlichkeit, aufsuchen; hierauf an ihrer fortschreitenden Ausbildung im allgemeinen die Schönheit entwickeln, welche sie zu erreichen strebt; und endlich zeigen, wie diese durch den unendlich verschiednen Bau der Sprachen in jeder eigenthümlich, und zwar sehr abweichend bestimmt, bald begünstigt und bald gehindert wird.
Fast gereut mich meines Vorhabens, liebe Freundin, da du mir bey seiner Ausführung so harte Bedingungen vorschreibst. Was ich nicht ohne Hülfe eines Kunstwortes sagen kann, soll ich nur verschweigen. Allem eigentlich Wissenschaftlichen, sey es nun Metaphysik oder Grammatik, willst du den Zutritt durchaus nicht verstatten. Gestehe nur, deine Absicht hiebey ist weniger, es dir leicht, als es mir schwer zu machen. Du besorgst, ich möchte ein unwillkommenes Licht auf Gegenstände werfen, die du lieber in einer freundlichen Dämmerung erblickst, und den Zauber vernichten, indem ich mich bemühe ihn zu erklären. Aber gieb mir nur Raum auch nach den strengsten und sorgfältigsten Zergliederun[90]gen bleibt unsre eigne Natur uns immer noch ein Räthsel; besonders ist das Gewebe unsrer Empfindungen so fein und dicht, daß sich die einzelnen Faden, woraus es besteht, kaum unterscheiden, geschweige dann unversehrt auftrennen lassen. Wir werden oft Gelegenheit finden, im Genusse des Ahnens und halben Errathens den forschenden Ernst aufzuheitern.
Wenn du gleich auf der einen Seite die Langeweile eines methodischen Unterrichts fliehest, so bist du doch wohl auf der andern nicht von jener Begierde nach versagter Erkenntniß frey, die zwar uns allen angebohren scheint, sich aber doch, wenn wir einer ehrwürdigen Urkunde trauen sollen, in deinem Geschlechte am frühesten verrathen hat. Sie lockt auch mich, ich will es nicht läugnen, zu Untersuchungen über jene Geschichte hin, die aller eigentlichen Geschichte vorausgeht. Wir steigen gar zu gern in die Tiefe der Zeiten bis zu einer unbekannten und eben deswegen heiligen Urwelt hinab. Wir bekümmern uns genauer um den ersten Menschen, als manchmahl um unsre Vettern und Muhmen. Wir ängstigen uns, wie er doch seine von der armseligsten Thierheit gefesselten Anlagen entwickeln, wie er sich aus so manchen Verlegenheiten ziehen wird. Was gäben wir nicht darum, bey seiner Erschaffung, ja bey der Schöpfung überhaupt gegenwärtig gewesen zu seyn!
Die Frage vom Ursprunge der Sprache steht mit den Meynungen über den anfänglichen Zustand des Menschen in engem Bezuge. Sie ist sehr alt, denn sie hat schon vor ein paar tausend Jahren Denker beschäftigt; und die mancherley entgegengesetzten Auflösungen, welche man [91] damahls wie in den neuesten Zeiten versucht hat, erinnern uns zwar, daß es fast eben so schwer ist, neue Irrthümer, als neue Wahrheiten zu ersinnen; aber sie dürfen uns keine Zweifel erregen, ob eine vollständige und genugthuende Beantwortung auch wohl möglich sey. Historische Nachrichten kann die Philosophie freylich nicht ertheilen: sie begnügt sich darzuthun, aus und mit welchen Anlagen des Menschen die Sprache sich entwickeln konnte und mußte, ohne den wirklichen Vorgang dieser Begebenheit nach Zeit, Ort und Umständen erzählen zu wollen. Zwischen der letzten, bestimmtesten Anwendung ihrer allgemeinen Lehren, und den ältesten Urkunden, die wir in aufbewahrten Schriften oder in der Kindheit noch vorhandner Sprachen entziffern können, ist der Abstand so groß, daß man nur durch einen tödtlichen Sprung hinüber gelangen kann. Viele haben ihn indessen von diesseits und jenseits gewagt, die Lücke ist mit sinnreichen Spielen oder schwerfälligen Grübeleyen einer gewissen philosophischen Etymologie, die weder der genaue Sprachforscher noch der nüchterne Philosoph anerkennt, reichlich bevölkert, scheinbar ausgefüllt worden; und wenn man jene Schattenwesen nicht so unstät und ohne Haltung herumschweben sähe, könnte man wirklich glauben, sie hätten festen Boden unter sich. Was das übelste ist, so haben die mislungenen Bemühungen, die Sprachen aller Völker von einem gemeinschaftlichen Stamme abzuleiten, indem man sie mit der philosophischen Theorie über ihren Ursprung verwechselte, diese selbst verdächtig gemacht. Du erlässest mir es gern, dir von den Schulübungen unsers ersten Stammvaters zu erzählen, von dem göttlichen Unterricht, der seiner Unfähigkeit die Sprache zu erfinden zu Hülfe gekommen seyn soll, da doch zu ihrer [92] Erlernung dasselbe Vermögen erfodert wird, dem ihre Erfindung angehört: nähmlich das Vermögen, Vorstellungen durch Zeichen festzuhalten und zu erneuern; oder von der müßigen und überlegten Verabredung der Menschen, kraft welcher sie den Dingen diese oder jene beliebigen Nahmen gaben, wie man etwa seine Kinder tauft, und sich also verständigten, ehe sie ein Mittel der Verständigung hatten. Diese beyden Meinungen sind vielleicht noch nicht für immer abgewiesen, doch gewiß für immer widerlegt. Aber ihre siegreichen Gegner sind nur darin einig, daß sie keine Verirrung aus der menschlichen Natur oder über sie hinaus gelten lassen, und einen wesentlichen Zusammenhang zwischen den ersten Zeichen und ihrer Bedeutung anerkennen: sie widersprechen sich in der Art ihn zu erklären. Die Sprache ist entweder aus Tönen der Empfindung ganz allein, oder aus Nachahmungen der Gegenstände ganz allein, oder aus beyden zusammen entstanden. Der Hauptsache und dem Wesen nach lassen sich nicht mehr Systeme denken als diese drey; und wenn die zahlreichen Schriften, worinn sie vorgetragen werden, eine grössere Mannigfaltigkeit darbieten, so liegt sie nur in ihrer Begründung und ausführlicheren Bestimmung.
Nicht dem Menschen allein, auch vielen Gattungen von Thieren dringt das Gefühl ihres Zustandes gewisse Laute ab, die von verwandten Geschöpfen mit einer ähnlichen, oft fast eben so starken, Erschütterung der Nerven, wie die, welche sie erzeugte, vernommen werden. Bey manchen bleibt die Stimme nur für die dringendste Noth, für die heftigsten Leidenschaften aufgespart, und selbst ihre Geselligkeit ist meistens stumm. <Anderen> hin[93]gegen ist bey einer Organisation, die sich der menschlichen weit weniger nähert, zum Theil auch bey beschränkteren Anlagen und einem geringern Maaße von Gelehrigkeit, der vielfachste, beredteste Ausdruck sogar der zarteren Regungen, und, wie es scheint, eine unermüdliche Lust an ihren eignen Tönen gegönnet.
Wenn man den Menschen, bloß nach seiner körperlichen Zusammensetzung betrachtet, zu jenem rechnet: (und dieß hat allen Anschein für sich; denn zu unsrer Demüthigung gleichen wir dem häßlichsten Affen viel mehr als der Nachtigall) so ist es allerdings einleuchtend, daß der Schrey körperlicher Schmerzen oder thierischer Begierden, vom ersten Wimmern des Neugebohrnen bis zum letzten Aechzen des Sterbenden, sich nie bis zur Rede erheben kann; und der Empfindung wird folglich mit Recht aller Antheil an ihrer Entstehung abgesprochen. Selbst die einfachen Ausrufe der Leidenschaft, (Interjektionen) welche auch die verfeinteste Sprache noch gelten läßt, sind eigentlich nicht mehr jene unwillkührlich hervorgebrachten Laute selbst, sondern vertreten sie nur durch ihren gemilderten Ausdruck, und fliessen also mit allen übrigen Wörtern aus der gemeinschaftlichen Quelle der Nachahmung her.
Dennoch ist es unläugbar, und wir erfahren es täglich, daß der Mensch eben so wohl für seine Empfindungen als für seine Gedanken Zeichen der Mittheilung hat; und zwar nicht allein für die, welche seinen Organen von außen durch eine körperliche Gewalt eingedrückt werden, sondern auch für solche, deren ihn bloß seine höhere Natur empfänglich macht, und wodurch der Prometheische [94] Funke in dem Stoffe, den er belebt, sich freythätig und herrschend beweiset. Diese Zeichen bestehen im lebendigen Vortrage der Rede und in den Gebährden: wenn anders alles, wodurch sich das Innre im Aeussern offenbart, mit Recht Sprache heißt, so verdienen sie eben so sehr diesen Nahmen zu tragen, als die Schätze des Wörterbuchs. Einige Gebährden sind nachahmend, oder zeigen auch gleichsam auf die Gegenstände hin; manche Biegungen der Stimme dienen dazu, die Beziehung der Begriffe auf einander deutlich, ihre größere oder geringere Wichtigkeit anschaulich zu machen; allein in den meisten redet das Gefühl, und zwar wendet es sich hiebey nicht an den Verstand, als an den Ausleger seiner Aeusserungen, sondern weiß sich unmittelbar mitzutheilen. Wenn wir zum Beyspiel die Mienen eines Traurigen sehen, und den Ton seiner Stimme hören, ohne die Worte zu verstehn; ist etwa erst ein Schluß nöthig, um uns von seiner Gemüthslage zu unterrichten? Oder wird nicht vielmehr durch die Eindrücke auf Auge und Ohr in unsren innern Organen, und dadurch in unsrer Seele eine ähnliche Bewegung hervorgebracht? "Jede Regung," sagt ein alter Philosoph, "hat von Natur ihre Gebährde, Miene und Stimme: der ganze Körper des Menschen gleicht den Saiten einer Leyer, welche, je nachdem die Seele sie rührt, verschiedne Töne angeben." Könnte man dieß schöne Gleichniß nicht auch auf die Mittheilung der Gefühle anwenden, und, um sie zu erklären, an jenes Gesetz der tönenden Körper erinnern, nach welchem gleichgestimmte Saiten, ohne sich sichtbar zu berühren, nur durch die erschütterte Luft ihre Bebungen gegenseitig bis zu einander fortpflanzen? Aber wie es auch zugehen mag: wohl uns, daß ein innigeres Band des Mitgefühls [95] als der eigennützige Ideenhandel des Verstandes das menschliche Geschlecht zu einem Ganzen verknüpft! Wir würden sonst mitten in der Gesellschaft einsam, im Leiden von aller Theilnahme verlassen, im Glücke selbst zu den todten Freuden des Egoismus verdammt seyn.
Diese Sprache schränkt sich keineswegs bloß auf die stärksten Regungen oder eigentlichen Leidenschaften ein. Sie folgt mit ihrem Ausdrucke den unendlich verschiednen Graden und Abstufungen der Empfindung, im weitesten Sinne des Wortes, für Wahrnehmung des eignen Zustandes genommen; ja selbst die Gleichgültigkeit hat den ihrigen. Irgend einer wird daher mit allen ausgesprochnen Gedanken vernommen, und nur, indem wir ihnen durch das künstliche Hülfsmittel der Schrift eine Art von Fortdauer außer uns verschaffen, wird es möglich, ihn ganz davon abzusondern. Sobald aber diese Zeichen wieder durch die Stimme belebt werden sollen, so muß der Leser den Ausdruck hinzubringen, mit welchem er vermuthen kann, daß der Urheber eines Gedankens ihn ausgesprochen hätte.
Weit entfernt, daß die Sprache der Gebährden, Mienen und Akzente von irgend einer Uebereinkunft abhinge, oder erst durch die Erziehung erlernt würde, ist aller Zwang der Erziehung und des Wohlstandes nicht im Stande, sie je ganz zu unterdrücken, oder, wo es an innrer Empfänglichkeit fehlt, den Mangel im Aeussern vollkommen zu ersetzen. Wie weit man es auch in der Herrschaft über die Bewegungen des Körpers und der Stimme bringen mag: einige Gefühle sind dennoch zu stark, als daß man ihren Ausdruck völlig ersticken, andre zu heilig, als daß man ihn erheucheln könnte. Selbst wo die verstrickenden Ver[96]hältnisse der bürgerlichen Gesellschaft die Verstellung zum täglichen Geschäfte machen, täuscht man sich nicht sonderlich, weil der Scharfsinn im Unterscheiden mit der Geschicklichkeit im Nachahmen immer im gleichen Grade zunimmt. Die Einfalt der Natur ist als Schauspielerin dessen, was sie wirklich fühlt, der geübtesten Kunst überlegen, die eine fremde Rolle übernimmt.
Nicht wahr, meine Freundin: jetzt gewinnt die Lehre, welche, mit Ausschliessung der Nachahmung, die Empfindung zur einzigen Bildnerin der Sprache macht, ein ganz andres Ansehen? Wir forschen nach dem Ursprunge der Sprache; wir betrachten ihre jetzigen Bestandtheile; wir finden darunter etwas, was so wenig der künstlichen Verabredung oder dem Witze einzelner Menschen angehört, daß es vielmehr durch alle von diesen herrührende Zusätze und Veränderungen unfehlbar geschwächt und entstellt wird; das sich in seiner größten Reinheit und Stärke gerade unter solchen Völkern findet, deren Zustand sich am wenigsten von dem Ursprünglichen zu entfernen scheint, oder deren reiche und regsame Empfänglichkeit den Wirkungen der feinern Ausbildung das Gegengewicht hält; etwas, worin jedes Kind und jeder Wilde die Beredtsamkeit eines Demosthenes beschämt; wodurch endlich Menschen aus den entferntesten Zonen, und, würden sie wieder ins Leben gerufen, aus den entferntesten Jahrhunderten, einander mittheilen könnten, was in ihrem Innern vorgeht. Dürfen wir also noch anstehen, dieß für die ächte, ewige, allgemein gültige Sprache des Menschengeschlechts anzuerkennen? Und ist sie das: wie liesse sich noch zweifeln, daß sie in allen einzelnen und abgeleiteten Sprachen das Ursprüngliche ausmacht?
[97] Nun scheint auch der Einwurf wegzufallen, der von dem Gegensatze zwischen thierischem Geschrey und artikulirter Rede hergenommen wird, indem man behauptet, der gänzliche Mangel an Verwandtschaft zwischen beyden mache einen Uebergang unmöglich. Es ist wahr, die vierfüßigen Thiere schreyen nur; aber die Vögel singen zum Theil: hier sehen wir also schon zwey ganz verschiedne Sprachen, (ohne die vielen Dialekte der besondern Thiergeschlechter zu rechnen) welche die Natur durch die verschiedne Einrichtung der Organe mit ähnlichen Empfindungen verknüpft hat. Wäre es denn so unwahrscheinlich, daß sie auch dem edelsten Thier eine ihm ausschließend eigne Sprache der Empfindung verliehen hätte? Jeder Mensch fängt freylich den Gebrauch seiner Stimme mit Schreyen an, wenn wir nicht etwa jene Kinder der Chorasmier ausnehmen wollen, die nach der Erzählung eines morgenländischen Geschichtschreibers * schon in der Wiege die musikalischen Anlagen des Volkes verrathen, indem sie fast melodisch weinen. Allein, man würde sich sehr irren, wenn man von den ersten Uebungen eines noch schwachen Organs einen ungünstigen Schluß auf das, wozu die Natur es im Zustande seiner völligen Entwickelung und Stärke bestimmt hat, herleiten wollte. Die Jungen der Nachtigall könnte man nach ihrem unbedeutenden Zwitschern mit Sperlingen verwechseln. Die Kinder lernen erst durch Nachahmung der Erwachsenen sprechen: beweißt dieß, daß die dazu erfoderliche Bewegung ihren Organen nicht von Natur eigen ist? Zeigt nicht vielmehr ihr früher Trieb dazu das Gegentheil? Ihre Fortschritte hierin sind im Vergleich mit denen, [98] welche sie in jeder andern Verrichtung machen, nicht vorzüglich langsam; ja, viele Kinder lernen die Zunge weit eher fertig bewegen, als die Füße. Vielleicht findet auch bey Thieren eine Nachahmung der Alten durch die Jungen, bey manchen sogar eine Art von Unterricht Statt. Einige Vögel scheinen ja ihren Kleinen fliegen zu lehren: warum nicht auch singen? Von der Nachtigall wirst du es dem Dichter und Musiker, die diesen Gedanken so bezaubernd ausgeführt haben *, gewiß willig glauben, ohne auf die Bestätigung des Naturforschers zu warten. Zwar ist schöner Gesang dem Menschen nicht so angebohren wie diesem beneideten zarten Geschöpfe, das gleichsam ganz Kehle, ganz Wohllaut ist; aber die Stimme auf irgend eine Art singend zu biegen, ist auch den menschlichen Organen sehr natürlich, wie man es oft an Kindern beobachten kann. Die erste Sprache mag ein wüstes Gemisch von Geschrey und Gesange gewesen seyn: und warum wäre es unmöglich, daß dieses nach und nach gemäßigt und herabgestimmt, durch viele Mittelstufen sich endlich in eine artikulirte Rede umgebildet hätte? Viele Sprachen der Wilden wurden von Reisenden noch sehr unartikulirt gefunden, so daß sie mit aller Mühe die gehörten Laute nicht nachsprechen, geschweige dann in unsrer Schrift aufzeichnen konnten.
Wie nun? Wofür sollen wir uns im Gedränge zwischen diesen zwey entgegengesetzten Systemen entscheiden? Da wir nicht beyde zugleich gelten lassen, und doch weder das eine noch das andre unbedingt verwerfen können, so [99] müssen wir sie friedlich zu vereinigen suchen. Beyde scheinen mir Theil an der Wahrheit zu haben, und nur darin unrichtig zu seyn, daß sie ihr Grundgesetz des Ursprunges der Sprache als das einzige, mit Ausschließung des andern, behaupten. Die, welche alles auf die Aehnlichkeit der Zeichen mit den benannten Gegenständen, erst mit den hörbaren, dann durch entferntere Beziehungen zwischen den verschiednen Sinnen auch mit andern, zurückführen, schränken den der menschlichen Organisazion eignen Ausdruck der Empfindung willkührlich zu enge ein: denn Erfahrungen an Menschen in einem widernatürlichen Zustande, zum Beyspiel an solchen, die unter Thieren verwilderten, oder an Taubgebohrnen taugen zum Beweise ihrer Voraussetzung nicht. Die ausdrucksvolle Beweglichkeit der menschlichen Glieder, vorzüglich des Antlitzes, widerspricht ihr vielmehr. Gleicht der Mensch hierin einem vielbesaiteten, von Leidenschaften mannigfaltig gerührtem Instrumente, indessen der thierischen Eingeschränktheit eine oder wenige Saiten genügen: warum nicht auch in den Tönen der Empfindung? Will man hingegen die Sprache ganz von diesen ableiten, so bleibt es unerklärlich, wie sie so unendlich hat erweitert und vervollkommt werden können. In der Empfänglichkeit des Menschen allein, wäre sie auch noch so vieles zarter und umfassender als in den übrigen Thieren, liegt kein unterscheidendes Kennzeichen seiner Natur. Er würde also, wie wir es an jenen sehen, mit den Vorzügen seiner Organisazion durch alle Geschlechter hin beständig auf eben dem Punkte beharren, wäre ihm nicht eine selbstthätige Richtung derselben verliehen. Bey dem Eindruck der Gegenstände durch die Sinne auf die innern Organe, und bey der Gegenwirkung dieser auf die äußern verhält [100] er sich bloß leidend: der Gebrauch einer ganz hierauf beruhenden Sprache würde folglich gar nicht von seinem Willen abhängen. Unser Liebling Hemsterhuys hat bey dem System, das er vertheidigt *, dieser Einwendung dadurch vorzubeugen gesucht, daß er bey der Sprache, als Werkzeug der Mittheilung betrachtet, die innre Sprache der Seele, das Vermögen, Vorstellungen durch Zeichen festzuhalten und zu erneuern, schon voraussetzt, und nur die Beschaffenheit der Mittheilungszeichen durch den nothwendigen Zusammenhang zwischen den Bewegungen der innern und äußern Organe bestimmen läßt. Allein warum sollte die Selbstthätigkeit grade hier still stehen, da doch ihre Macht sich so viel weiter erstreckt? Wir wissen nur zu gut, daß ihr Einfluß den Ausdruck der Empfindungen eher verfälscht und stört als befördert. Aber Zeichen mit den Vorstellungen von Gegenständen ausser uns, vorzüglich nach dem Gesetz der Aehnlichkeit, verknüpfen, und sie dadurch auch in andren erwecken, ist ihr eigentliches Geschäft: und wie sollte sie es bey der ersten Bildung der menschlichen Rede nicht ausgeübt haben?
Mehrere Philosophen sind zwar einen Mittelweg gegangen, und haben zwey Quellen der Sprache anerkannt: allein sie räumen dabey der Empfindung meistens zu wenig ein; bleiben bey den Interjektionen, als dem Einzigen, was ihr angehöre, stehen; und bemerken ganz richtig, daß diese nur im Zeitalter der rohen Sinnlichkeit, der ungezähmten Leidenschaft, eine bedeutende Rolle unter [101] den Wörtern spielen konnten, sich aber mit dem Fortgange der Verfeinerung immer mehr verlieren müssen. Es ist wahr, jene mächtigen Eindrücke, welche auf einen Augenblick alle Vorstellungen verdunkeln, äussern sich nur in abgebrochnen Ausrufungen. Aber daß die Empfindung, in so fern sie als Wahrnehmung des eignen Zustandes jede Vorstellung von etwas ausser uns nothwendig begleitet, sowohl an dem Ursprunge als an der weitern Ausbildung der Sprache, mit dem Bestreben, die Dinge nachahmend zu bezeichnen, einen gleich wesentlichen und allgemeinen Antheil habe, scheint mir durch alles Bisherige ausgemacht. Freylich läßt sich ihr Werk nicht an einzelnen Worten darlegen; auch in der ganzen Masse einer Sprache ist sie nicht sichtbar vorhanden und gleichsam mit Händen zu greifen, eben so wenig, wie man den lebhaften Vortrag einer Rede in Schriftzüge würde auffassen können. Es ist eine geistige Gegenwart, wie die der Luft in so vielen von ihr durchdrungenen Körpern unsichtbar und belebend. Indessen will ich dir doch nachher, wann ich von dem sinnlich Schönen in den Sprachen reden werde, wenigstens flüchtig anzudeuten versuchen, wie dieses hauptsächlich von dem Reichthum und dem Charakter der Empfänglichheit eines Volkes abhängt.
Nun zum Ursprunge der Poesie, worauf ich mit allen meinen Betrachtungen hinzielte. Historisch wissen wir davon eben so wenig als von der Entstehung der Sprache. Denn, obgleich die fabelnden Sagen einzelner Völker darüber vielleicht auf manchen wirklichen Umstand in ihrer frühesten Geschichte anspielen, so sind sie doch immer an ihre besondre Szene gebunden; und das wunderbare Alterthum, wohin sie alles zurückschieben, ist jung neben [102] dem Menschengeschlechte. Die erwachsene Muse mochte sich von ihrer Kindheit einiges dunkel erinnern: wie hätte sie es von dem ersten Augenblicke ihres Daseyns gekonnt? Wir müssen uns also mit den allgemeinen Aufschlüssen begnügen, die uns die Lehre vom Ursprunge der Sprache geben kann. Aus der Beschaffenheit des Bodens, woraus der erste Keim der Poesie aufsproßte, läßt sich ungefähr vermuthen, wie er gediehen seyn mag. War die älteste Sprache wirklich das Werk jener beyden vereinigt wirkenden Anlagen der menschlichen Natur, denen wir sie zugeschrieben haben, so war sie auch zuverlässig ganz Bild und Gleichniß, ganz Akzent der Leidenschaften: die sinnlichen Gegenstände lebten und bewegten sich in ihr, und das Herz bewegte sich mit allen. Dieß ist es, was man so oft gesagt hat, und was doch nur in einem gewissen Sinne wahr ist: Poesie und Musik sey vom Anfange an da gewesen, und gleich alt mit der Sprache. Welch eine Poesie und welch eine Musik kann man sich hiebey denken? Beyden fehlte noch etwas, woran doch ihre ganze Entwickelung zu schönen Künsten hieng, nähmlich ein Gesetz der äußern Form; und wie dieses gefunden worden, ist dadurch noch im geringsten nicht erklärt. Zwar brauchte nur einmal die Freyheit von äußern Bedürfnissen und ungewöhnlich starke Regung der innern Lebensfülle in Einer Stunde zusammenzutreffen, so mischte sich die noch ungeübte rauhe Kehle des Menschen unter die übrigen Waldgesänge und stimmte den ersten Hymnus an. Allein wie kam eine gleichförmige Bewegung, ein Zeitmaaß in seinen Gesang, oder (denn beydes war ja ursprünglich eins) ein Rhythmus, sey er auch noch so unförmlich gewesen, in seine Worte? Mußten sie nicht vielmehr, den augenblicklich wechselnden Antrieben ge[103]mäß, regellos hinströmen? Und wie verfiel der freye Sohn der Natur darauf, dem Ungestüm seiner Phantasie und seiner Gefühle selbst irgend einen Zügel anzulegen? – Das nächste Mahl will ich dieß Räthsel zu lösen suchen.
Ein Kayser von Sina, Nahmens Tscho-yong, welcher vor vielen Jahrtausenden lebte, hörte eines Tages auf einem Spaziergange (die Regierungsgeschäfte mochten ihm wohl einige Muße übrig lassen) ein Konzert der Vögel. Es gefiel ihm ungemein, er beschloß auch eins dergleichen anzustellen, und erfand durch diese Veranlassung eine wunderwürdige und unwiderstehliche Musik, welche die Leidenschaften besänftigte, die unregelmäßigen Wallungen im menschlichen Körper hemmte, und dadurch sogar das Leben verlängerte. Seitdem sind nun die Sineser, Dank dem klugen und geschmackvollen Tscho-yong, im Besitz einer so vortrefflichen Kunst; und da es unhöflich seyn würde, die Erfindungen eines Kaysers unvollkommen zu finden, so kann man sich leicht denken, daß sie nur weniges werden hinzugesetzt oder verändert haben. Vermuthlich werden sie auch, wenn es dem Himmel ge[55]fällt, in alle Ewigkeit auf eben den Fuß zu musiziren fortfahren.
Verachte mir dieß alberne Mährchen nicht zu sehr, liebe Amalie. Vielleicht ist es recht passend für den Charakter der Sinesischen Musik, deren Langweiligkeit leicht an die Langeweile eines Monarchen erinnern mag. Freylich wird darin nicht erwähnt, ob seine Majestät den Takt aus eignem Belieben ersonnen; oder ob die Vögel in Sina zur Zeit Tscho-yongs, welcher der sechzehnte Fürst der neunten Periode war, taktmäßig gesungen haben; oder ob diese kayserliche Musik ganz ohne Takt bestehen konnte. Allein ich habe in mehreren angeblich philosophischen Schriften, die von der Verwandtschaft der Poesie und Musik und von ihrem gemeinschaftlichen Ursprunge handeln, keinen bessern Aufschluß über die Erfindung des Zeitmaaßes gefunden. Man nimmt darinn den natürlichen Hang des Menschen, seine Gefühle durch Töne und Bewegungen des Körpers auszudrücken, für die einzige und hinreichende Grundlage des Gesanges und Tanzes an. In so fern man hierunter nichts weiter als starke, leidenschaftliche Biegungen der Stimme, und wilde Gebärden und Sprünge versteht, (und nur zu solchen beseelt die bloße Empfindung) gehört die Vorstellung von einem Zeitmaaße gar nicht dazu. Trägt man aber diese gleich mit in die Worte hinein, wie es ihr gewöhnlicher Gebrauch erfodert, so verwechselt man willkührlich die Bedeutungen, und überspringt die eigentliche Schwierigkeit der Frage, indem man das als schon [56] vorhanden voraussetzt, wovon die Entstehung erst erklärt werden soll.
Allerdings läßt sich eine Musik von Instrumenten ohne Takt gar nicht denken; auch die von Instrumenten begleitete Stimme ist durchaus an die Beobachtung desselben gebunden; aber wenn sie sich ganz allein hören läßt, so darf sie in diesem Stücke ihre natürliche Freyheit wieder geltend machen, und darin auch neben dem künstlichsten Reichthum musikalischer Zusammensetzung gefallen wollen. Du siehst, ich rede vom Rezitatif, das besonders in der Italiänischen Oper eine so schöne Stelle einnimmt, und dem man doch den Nahmen eines Gesanges nicht versagen kann. Die Kennzeichen, woran das Ohr die singende Stimme von der redenden unterscheidet, (auf welchem verschiednen Spiel der Organe die Eigenthümlichkeit beyder auch beruhen möge) sind ein gewisses Schweben, das den Tönen Dauer verleiht; ihre Bestimmbarkeit in Ansehung der Höhe und Tiefe; und der Uebergang von einem zum andern nach bestimmbaren Zwischenräumen oder Stufen. Im Gesange der Nachtigall, bey welchem dieß alles eintrifft, und der so sehr Gesang ist, daß man versuchen konnte, ihn musikalisch aufzuzeichnen, bemerkt man nichts, was einem Zeitmaaße gliche.
Dürfte man in der Geschichte der Entwickelung der menschlichen Fähigkeiten die Erfindung eines Instruments vor den ersten Uebungen der Stimme im Gesange vorangehen lassen, so wäre dadurch die Schwierigkeit der Auflösung um vieles verringert, aber keinesweges ganz [57] gehoben. Da musikalische Instrumente erst durch eine künstliche Nachahmung einigermaaßen den Ausdruck der Empfindung erreichen können, welcher den Stimmen lebender Geschöpfe ursprünglich eigen ist, so kann ihre erste Anwendung keine andre seyn, als bloß das Ohr zu ergötzen. Dieß vermögen sie durch einzelne Töne in keinem erheblichen Grade, und durch eine Folge derselben, nach unserm Urtheile wenigstens, nicht anders, als wenn darin ein Gesetz des Zeitmaaßes obwaltet. Es ist daher nicht fremde, daß der Mensch, wenn er sich einmahl das Ergötzen zum Geschäft machte, mancherley Versuche anstellte, und gleichsam so lange herumtastete, bis er das Rechte traf. Indessen sind ungeübte, aber nach allem begierige Sinne äusserst leicht zu befriedigen. Das armseligste Geklimper oder Geklingel bezaubert das Ohr eines Kindes oder eines Wilden, und ihr Entzücken über das schon Gefundne entfernt sie von dem Streben nach einer höhern, noch unbekannten Vollkommenheit. Vaillant beschreibt sehr artig ein Konzert seiner Hottentotten: er hatte ihnen Maultrommeln und andre dergleichen Instrumente ausgetheilt; nun spielten sie ohne allen Takt auf das betäubendste durch einander, und fanden dennoch ein unbeschreibliches Vergnügen daran. Doch wir brauchen so weit nicht zu suchen: wie lärmen unsre Knaben nach einem Jahrmarkte mit ihren neuen Trommeln, Pfeifen oder Geigen durch die Gassen! Und scheinen sie bey dieser musikalischen Ergötzlichkeit wohl im geringsten das Bedürfniß des Taktes zu fühlen?
[58] Der Schriftsteller, bey dem ich das obige Mährchen angeführt sah, nimmt es so, als ob demselben zufolge, in Sina die Instrumentalmusik früher erfunden wäre als der Gesang. Mir scheint es nicht ausdrücklich der Vorstellung zu widersprechen, der Kayser habe sein menschliches Vögelkonzert bloß durch Singstimmen zu Stande gebracht. Allein, gesetzt auch, das Gegentheil würde deutlich gemeldet, so muß das Ansehen einer Sage immer durch die innre Wahrscheinlichkeit der Begebenheiten unterstützt werden, und kann gegen sie nichts gelten. Die Vermuthung, daß die Menschen, als Spiel und Gesang schon durch viele Fortschritte zu einer üblichen Unterhaltung geworden, und ihr Ohr für musikalischen Genuß mehr gebildet war, eine beschämende Vergleichung zwischen dem lieblichen Klange einiger Vogelstimmen und der Rauhigkeit ihrer eignen angestellt, und sich bemüht haben, jene nachzuahmen: diese Vermuthung möchte ich nicht ganz verwerfen. Dagegen wissen wir historisch, daß die meisten Völker nie eine eigentliche, das heißt ohne Gesang für sich bestehende, Instrumentalmusik gekannt haben, und daß diese, wo sie etwa eingeführt ward, zu den späten, schwächenden Verfeinerungen der Kunst gehörte. Das Werkzeug des Gesanges bringt der Mensch mit auf die Welt, es begleitet ihn in jedem Augenblicke seines Lebens, und die Antriebe des Gefühls setzen es früh auf mannichfaltige Weise in Bewegung: die ersten unförmlichen Lieder mußten daher ohne Absicht, fast ohne Bewußtseyn entstehen. Aber der Gebrauch eines äußern [59] Werkzeuges, wäre es auch nur ein gespaltnes Bambusrohr, zur Begleitung des Gesanges, erfodert Ueberlegung, Benutzung der Natur, die nichts ohne Zubereitung dazu taugliches darbietet, ja sogar einige Beobachtungen über die Gesetze des Schalles. So wunderwürdig schienen auch der Vorwelt solche Erfindungen, daß nach der Griechischen Sage nur der sinnreichste aller Götter den Einfall haben konnte, einige Schaafsdärme über eine Schildkrötenschale zu spannen.
Aber wie? so hast du mir vielleicht schon vorhin eingewandt: schreibt nicht die Beschaffenheit der Empfindung selbst den Bewegungen einen gewissen Takt vor? Hüpft nicht die Freude mit raschem, schleicht nicht die Traurigkeit mit gedehntem Tritt? Und verhält es sich nicht eben so mit schnellen und langsamen Tonfolgen? Um diesen Zweifel aufzuklären, denke dir eine Reihe von gleich lange daurenden, oder in gleichen Zeiträumen auf einander folgenden Schällen; zum Beyspiel den Schlag des Pulses, das <Ticken> einer Uhr, das Läuten einer Glocke. Du siehst, alles dieß kann uns durchaus keine andre Vorstellung als die von Schnelle und Langsamkeit geben, und hat nicht die entfernteste Beziehung auf den Charakter verschiedner Empfindungen. Sobald hingegen Rhythmus entsteht, das heißt, sobald Abwechselung in die Dauer der einzelnen Eindrücke gebracht, und Längen mit Kürzen gemischt werden, so kann eine solche Tonfolge auch ohne Hülfe der Modulation schon einigen Einfluß auf unser Gemüth haben, es erwecken oder beruhi[60]gen. Bemerke ferner, daß wir aus dem langsameren oder schnelleren Zeitmaaße der Schritte eines Menschen an sich nichts weiter erfahren als den Grad seiner Eile nach einem gewissen Ziele zu gelangen; seine Gemüthslage verräth sich erst durch andre hinzukommende Bewegungen, die zwar mit dem Gange übereinstimmen, aber doch nicht bloß durch die Art der Folge, sondern jede für sich betrachtet, bedeutend sind. Ueberhaupt muß eine Leidenschaft schon bis zur Stimmung, zum fortwährenden Zustande der Seele, gemildert seyn, wenn ein gewisses Ebenmaaß in ihrem Ausdrucke Statt finden soll. Denn was uns am stärksten erschüttert, hat am wenigsten Bestand, und deswegen äussern sich in der Natur die lebhaftesten Gefühle in stürmischen, völlig unregelmäßigen Folgen von Bewegungen und Tönen. Führt dieß nicht auf die Folgerung, daß also in beyden nicht das Abgemessene, das gleichförmig Wiederkehrende, sondern das Abwechselnde, die Uebergänge von einem zum andern, der Empfindung entsprechen und sie wieder erregen?
Und doch, wirst du sagen, ist es so fühlbar, daß der jeder Melodie angemessene Takt die Seele derselben ist. Das ist er allerdings: allein erinnre dich, wir sind hier schon im Gebiete der Kunst, die nicht bey unmittelbarer Nachahmung der Natur stehen bleibt, sondern durch eine Art von Erdichtung sich ihr wieder nähert. Ein zusammengesetztes Gefühl, welches die Seele aber doch auf einmahl fassen kann, entfaltet der Musiker nach der fein[61]sten Eigenthümlichkeit desselben in einer melodischen Folge von Tönen, und legt durch das bestimmte Verhältniß ihres Fortschrittes dem fliehenden Augenblicke gleichsam Fesseln an; oder man kann auch sagen, er bildet aus Empfindungen ein geordnetes Ganze, was sie eigentlich in der Wirklichkeit niemahls sind. Das Sylbenmaaß kann in der Poesie etwas ähnliches leisten: aber welche geübte, besonnene Empfänglichkeit gehört dazu, solch eine Wirkung nur wahrzunehmen, geschweige dann, sie selbst hervorbringen zu wollen! Wir müssen uns wohl hüten, den schönen Gebrauch einer Erfindung mit dem, was sie zuerst veranlaßte, zu verwechseln.
Ein Schriftsteller, der glücklicher darin war, Geheimnisse in die Gegenstände seiner Nachforschungen hineinzulegen, als die darin liegenden zu lösen, oder der dieß wenigstens gern auf eine geheimnißvolle Art that; dem es eine allzu reizbare Organisation schwer machen mußte, das wirklich Wahrgenommene vom Eingebildeten zu scheiden; findet den Ursprung des Zeitmaaßes im Tanze und Gesange darin, daß den körperlichen Bewegungen, und den ausgesprochnen oder gesungnen Worten, wozu bloß Leidenschaft den Menschen dringt, ein äußrer Zweck mangelt. Der gewöhnliche Gang, sagt er, hat zur Absicht irgend wohin zu führen; die gewöhnliche Rede, uns Andern verständlich zu machen. Da beym Tanze und Gesange solch ein äußres Bedürfniß ganz wegfällt, und folglich diese Handlungen um ihrer selbst willen vorgenommen werden, etwas an sich ganz zweckloses aber uns [62] kein Vergnügen gewähren kann, so strebt die Seele unwillkührlich darnach, sich einen Grund angeben zu können, warum sie jedesmahl die Bewegungen und Töne so oder so auf einander folgen lasse. Dieß erlangt sie nun durch ein innres Gesetz, ein Maaß ihrer Folge. Indessen strebte sie vielleicht lange vergeblich, bis etwa zufälliger Weise dieselbe Abwechselung langsamerer und schnellerer Bewegungen mehrere Mahle auf einander folgte. Dieß immer in gleicher Ordnung Wiederkehrende fesselte die Aufmerksamkeit, prägte sich dem Gedächtnisse ein, ward bewundert, nachgeahmt und allmählich zum künstlichen, regelmäßigen Tanze, oder in Ansehung der Poesie zum künstlichen, regelmäßigen Versbau gebildet.
Ich habe dir diese Erklärung umständlich angeführt, weil sie in einem sonst schätzbaren Buche,
nähmlich der Deutschen Prosodie von Moriz, steht; denn freylich ist sie zu luftig, als daß sie
uns lange aufhalten dürfte. Die Redensart "zufälliger Weise" gebraucht der Verfasser mehrmahls,
und das ist schon ein übles Zeichen. Erlaubt man es sich einmahl, bey einer, wenn ich so sagen darf,
dem ganzen Menschengeschlechte gemeinschaftlichen Erfindung, den Zufall zu Hülfe zu rufen, so kann
man sich die Mühe dieser und aller ähnlichen Untersuchungen ersparen,
und jenem blinden Gotte die Entwickelung der menschlichen Fähigkeiten
überhaupt anvertrauen. Wäre der Satz wahr, daß nichts Zweckloses uns Vergnügen gewähren könne,
so müßte man entweder behaupten, kein bloß sinnlicher Genuß reiche über die
Be[63]friedigung des
Bedürfnisses hinaus, oder man müßte dem Worte "Zweck" eine höchst seltsame Ausdehnung geben. In
dem gebräuchlichen Sinne sind Zwecke bloß Sache des Verstandes; folglich handelt nur der gebildete
Mensch nach ihnen, und auch dieser nicht, sobald Leidenschaften seinen Verstand ganz übermeistern.
Dieß ist in der kindischen Seele des unerzognen Natursohns unaufhörlich der Fall: er ist daher der
Gewalt jedes dunkeln Antriebes hingegeben. Eine lebhafte Regung nöthigt ihn, ohne allen weitern
Zweck, sie in Gebährden und Tönen auszudrücken: aber wird wohl jemand noch nach einem Zwecke fragen,
wo ein dringendes Bedürfniß befriedigt wird? Nähme man indessen auch an, die Erfindung des Taktes
gehöre erst in die Zeiten, wo durch Gesang und Tanz nicht mehr eigne und gegenwärtige Leidenschaft
ausgedrückt, sondern fremde oder vormahlige zur Ergötzung nachgeahmt wurde, so ist ja doch Genuß des
Daseyns der Mittelpunkt aller Zwecke, und was unmittelbar dazu dient, steht in ihrer Rangordnung
oben an. Wenn also die wahrste Nachahmung, die gewiß als solche kein Zeitmaaß beobachtete, wie aus
der Natur der Leidenschaften erhellt, schon an sich ergötzen mußte, so war ja nichts Zweckloses darin.
Ferner begreife ich nicht, wie Moriz den Zweck der Rede darauf einschränken <kann>, daß man sich verständlich machen will. Soll sie nicht noch in Zeiten der Verfeinerung, sollte sie nicht um so viel mehr, je näher die Sprache ihrem Ursprunge war, Theilnahme an den Em[64]pfindungen des Redenden erregen? Und sollten dieß nicht gleichfalls die ältesten Lieder, wofern man nicht etwa annimmt, ihre Urheber haben sie nur sich selbst vorgesungen? Endlich ist das Fortschreiten von einem Orte zum andern, worauf hier die Vergleichung des Tanzes mit dem Gange sich gründet, ein durchaus unwesentlicher Umstand. Es giebt sehr belebte Tänze, bey denen man seine Stelle gar nicht verläßt; ja auf den freundschaftlichen Inseln im Südmeer sah man dergleichen, wobey nicht einmahl die Füße wechselweise gehoben wurden. Der Tanz hat freylich kein bestimmtes Ziel der Bewegungen wie der Gang; aber die ausdrucksvollen Gebährden, aus denen er mit Hinzufügung des Taktes entstanden ist, haben es eben so wenig.
Es fehlt so viel, daß die Rede, sobald sie sich in die Form eines Gesanges fügt, dem Dienste eines äußern Zweckes entzogen würde, daß Poesie vielmehr in den frühesten Zeiten nicht nur als Angelegenheit betrieben wurde, sondern auch an allen Angelegenheiten des Lebens den wichtigsten Antheil hatte; und daß sich bey einigen, zum Beyspiel beim Gottesdienste, die uralte Sitte sogar bis auf uns fortgepflanzt hat. In Liedern wurden von jeher die Götter angefleht und gepriesen; in Liedern die Toten betrauert; Lieder bereiteten die Krieger zum Kampfe vor. Bey Völkern, die schon längst in vielen Hinsichten gesittet heißen konnten, wurden die Gesetze noch als Lieder abgefaßt und gesungen. Die Araber haben im Tempel zu Mekka zwey Liedern einen [65] unsterblichen Platz angewiesen, wodurch die Abgesandten zweyer Stämme im Namen derselben ein Bündniß feyerlich besiegelten. Der eine von ihnen, Hareth Ben Helsa, ließ, auf seinen Bogen gelehnt, die Eingebungen des Augenblicks im höchsten Feuer der Begeisterung hinströmen. Sowohl auf den Inseln des Südmeers als in andern Gegenden wurden die Europäischen Weltumsegler von den Eingebohrnen mit abgemessenem Gesange bewillkommt. Durch stolze Lieder bietet der Amerikanische Wilde mitten in der Todesqual seinen Feinden Trotz. Es ist daher auch nichts unglaubliches in der Sage, daß die Nordischen Helden oft mit Liedern, in denen sie ihre eignen Thaten verherrlichten, vom Leben Abschied nahmen. Du kennst vielleicht den Gesang, womit Regner Lodbrog, der Dänische König, lächelnd im Kerker starb. Ein andrer Held, Hallmund genannt, dichtete, tödtlich verwundet, ein Lied von ähnlichem Inhalt, und hieß seine Tochter es aufbewahren. Solche Gedichte waren kein Gedicht: die Poesie, welche diese Männer im Leben und Tode begleitete, war ihr heiligster Ernst, ihre lebendigste Wahrheit.
Wüßte man nicht historisch das Gegentheil, so könnte man leicht auf den Gedanken gerathen, das Zeitmaaß gehöre unter die spätern Erfindungen; der Gesang habe, so lange nur wirkliche Leidenschaft ihn eingab, in dithyrambischer Freyheit geschwärmt, und erst als er zum ergötzenden Spiele geworden, habe man den Mangel jenes ursprünglichen Nachdrucks durch einen kunstmäßigen Reiz [66] zu ersetzen gesucht. Aber die Beobachter wilder Völker rühmen einstimmig die wunderwürdige Genauigkeit im Takt, womit sie ihre Gesänge und Tänze aufführen. Selbst die kannibalischen Schlachtlieder der Neuseeländer, wobey die furchtbarste Wuth ihre Augen verdreht und alle ihre Gesichtszüge verzerrt, werden vollkommen taktmäßig gesungen.
Wenn man also nicht annehmen kann, der ordnende Geist sey es, der sich durch Regelmäßigkeit in den Ausbrüchen der ungestümsten Leidenschaften herrschend beweise; wenn ferner die, besonders in kindischen Seelen, so unstäten und rasch wechselnden Gefühle nichts Abgemessenes an sich haben: so müssen wir uns nach einem andern Grunde dieser Erscheinung umsehn, und diejenige Art sie zu erklären, wobey man der besonnenen Absicht am wenigsten einräumt, wird die wahrscheinlichste seyn. Indessen scheint alles Messen, weil es auf einer Vergleichung beruht, ein Geschäft der denkenden Kraft in uns zu seyn. Körperliche Gegenstände, die man nach ihrer Ausdehnung gegen einander messen will, hat man oft zugleich vor Augen: aber in einer Zeitfolge ist kein Theil mit dem andern zugleich vorhanden; die Vorstellung von dem Zeitraume, welcher den übrigen zum Maaßstabe dienen soll, muß folglich im Gedächtnisse festgehalten werden. Ueberdieß ist die Wahrnehmung von der Dauer der Zeit sehr abhängig von der Beschaffenheit und Menge der sie ausfüllenden Eindrücke. Man sollte also denken, es müsse für die Seele höchst schwierig seyn, den Ver[67]gleich nur einigermaaßen genau anzustellen, und dennoch fühlen wir die Leichtigkeit, womit wir Bewegungen nach einem Zeitmaaße vornehmen. Dieß führt natürlich auf den Schluß, daß wir dieselbe nicht sowohl der Seele als dem Körper verdanken, daß sie mit Einem Worte bloß mechanisch ist. Unser Körper ist ein belebtes Uhrwerk; ohne unser Zuthun gehn in ihm unaufhörlich mancherley Bewegungen, zum Beyspiele das Herzklopfen, das Athemhohlen, und zwar in gleichen Zeiträumen vor, so daß jede Abweichung von diesem regelmäßigen Gange irgend eine Unordnung in der Maschine anzuzeigen pflegt. Auch bey andern Bewegungen, die von unserm Willen abhängen, gerathen wir leicht, vorzüglich wenn wir sie anhaltend wiederhohlen, von selbst und ohne es zu wissen, in ein gewisses Zeitmaaß. Nehmen wir mehrerley solche Handlungen zugleich vor, zum Beyspiel Gehen und Sprechen, so richtet sich die Geschwindigkeit der einen gewöhnlich nach der andern, wenn wir nicht etwa vorsätzlich die Uebereinstimmung zwischen ihnen aufheben wollen. Eben so setzen sich mehrere Menschen bey gemeinschaftlichen Arbeiten ohne Absicht oder Verabredung in eine gleichmäßige Bewegung. Freylich kommt alsdann der Umstand hinzu, daß man einander sonst mit den Werkzeugen, zum Beyspiel beym Rudern, Dreschen, Mähen, hinderlich seyn würde; aber auch wer ganz allein angreifende Arbeiten der Art verrichtet, wird, sobald er darin geübt ist, ohne besondre Aufmerksamkeit einen Takt beobachten. Gleichmäßig wiederhohlte Bewegungen erschöpfen am wenig[68]sten: das Wohlthätige davon für den Körper muß sich leicht fühlen.
Daß die Seele sich mehr leidend als durch Vergleichen und Urtheilen thätig beweise, indem eine Folge von Zeiten sich, wenn ich so sagen darf, von selbst an der Organisazion abmißt, wird dadurch noch wahrscheinlicher, daß auch mehrere Arten von Thieren an Beobachtung des Taktes in ihren Bewegungen, einige Vögel sogar in ihrem Gesange, gewöhnt werden können. Auch das scheint diese Vermuthung zu bestätigen, daß wir nur innerhalb eines gewissen Kreises Zeitmaaße genau und sicher wahrnehmen, und daß wir dabey eben auf solche Grade der Geschwindigkeit oder Langsamkeit eingeschränkt sind, die mit dem fühlbaren Zeitmaaß der Bewegungen im Körper in einem nahen Verhältnisse stehn. Bey einer sehr schnellen Folge ist dieß weniger zu verwundern: die Eindrücke vermischen sich unter einander, so daß eine große Menge derselben in die Vorstellung von einem einzigen zusammengedrängt wird, wie wir zum Beyspiel nach der verschiednen Anzahl der Bebungen einer Saite in einer gegebnen Zeit nur einen einzigen höheren oder tieferen Ton vernehmen. Wir brauchen nur an die Schnelligkeit zu denken, womit sich Schall und Licht durch unermeßliche Räume fortpflanzen, um überzeugt zu seyn, daß dasjenige, was uns wie ein einziger untheilbarer Augenblick vorkommt, eine sehr zusammengesetzte Masse von Zeiten ist. Aber wie käme es, daß bey einer sehr langsamen Folge, wo wir doch um so mehr Musse haben, die ein[69]zelnen Zeiträume zu unterscheiden, die Wahrnehmung von ihrer Gleichheit oder Ungleichheit sich ebenfalls verliert, wenn sie nicht auf Verhältnissen zu unsrer Organisazion beruhte? Man lasse eine Glocke alle Minuten einmahl schlagen: niemand wird auch mit dem geübtesten Ohre entscheiden können, ob die Zwischenräume sich immer gleich sind, er müßte sie dann etwa durch ein körperliches Hülfsmittel eintheilen und die Anzahl der Theile in jedem mit einander vergleichen.
"Die Vorstellung vom Zeitmaaße," sagt Hemsterhuys, "ist vielleicht die erste von allen unsern
Vorstellungen, und geht sogar der Geburt voran; denn es scheint, daß wir sie einzig den aufeinander
folgenden Wallungen des Bluts in der Nachbarschaft des Ohres verdanken."
Es ließe sich hiebey fragen: ob die Fähigkeit Zeiten zu messen, unter unsern Organen dem Ohre ausschließend gehöre? ob die Wallungen des Bluts in seiner Nähe, auch bey der größten äußern Stille, wirklich hörbar seyn können? wie früh Vorstellungen ohne Bewußtseyn in uns wirksam zu werden anfangen? und dergleichen mehr. Du siehst, eine gründliche Erörterung jenes Satzes würde uns in Labyrinthe der Physiologie und Psychologie führen. Es ist mir indessen lieb, mich wenigstens in so weit mit Hemsterhuys auf Einem Wege zu finden, daß er die Anlage zum Takte auch für körperlich hält, und annimmt, nur die Regelmäßigkeit gewisser Bewegungen in unsrer Organisazion mache sie zum tauglichen Werkzeuge der Zeitmessung.
[70] Zwar ist auf diese Art noch nicht erklärt, wie die Menschen darauf fallen konnten, die fremdartige Vorstellung vom Takt auf den Ausdruck durch Gebährden und Töne anzuwenden; doch ist die Auflösung, die ich jetzt deiner Prüfung übergeben will, dadurch vorbereitet.
Je mehr der Mensch noch ganz in den Sinnen lebt, desto mächtiger sind seine Leidenschaften. Zwar eröffnet ihnen die Entwickelung des Verstandes und die Vervollkommnung der geselligen Künste eine Welt von vorher unbekannten Gegenständen; aber eben dadurch, daß der Kreis ihrer Wirksamkeit sich erweitert, muß ihr blinder Ungestüm gemäßigt werden. Hiezu kommt die tausendfache Abhängigkeit von Verhältnissen, die dem verfeinerten Menschen bey ihrer Befriedigung im Wege stehn. Ein Zögling des Anstandes hat er schon früh gelernt, ihre Ausbrüche zu ersticken, und Gleichgewicht in seinem Betragen zu erhalten. Der rohen Einfalt hingegen scheint alles anständig, was die Natur fodert. Noch unbekannt mit den Anreizungen erkünstelter Verderbniß läßt sie sich nur von natürlichen Trieben, aber von diesen auch unumschränkt beherrschen. Wie eine Krankheit in einem gesunden Körper um so heftiger wütet, je größern Ueberfluß an Lebenskräften sie vorfindet, so ist es auch mit den Leidenschaften: die gewaltsamsten Zustände, worein sie den künstlich erzognen Menschen versetzen, scheinen neben ihrer ausschweifenden Unbändigkeit in der Seele des freyen und kräftigen Wilden nur ein besonnener Rausch zu seyn. Sey es nun Freude oder Betrübniß, was sich seiner be[71]mächtigt, so würden die aufgeregten Lebensgeister ihre Gewalt nach <innen wenden>, und seine ganze Zusammensetzung zerrütten, wenn er ihnen nicht durch den heftigsten Ausdruck in Worten, Ausrufungen und Gebährden Luft machte. Er folgt der Anfoderung eines so dringenden Bedürfnisses; durch jede äußre Verkündigung der Leidenschaft fühlt er sich eines Theils ihrer Bürde entledigt, und hält daher instinktmäßig Stunden, ja tagelang mit Jauchzen oder Wehklagen an, bis sich der Aufruhr in seinem Innern allmählig gelegt hat. Bey schmerzlichen Gemüthsbewegungen werden sogar körperliche Verletzungen für nichts geachtet, wenn sich die Seele dadurch nur die Linderung verschaffen kann, sie auszulassen. Hierin liegt unstreitig der Grund jener so vielen Völkern gemeinschaftlichen Sitte, beym Trauern über die Todten sich Wangen und Brust mit den Nägeln oder andern scharfen Werkzeugen zu zerfetzen, wenn auch nachher ein bloß äußerlicher Gebrauch oder eine Pflicht daraus wurde.
Freude ist zwar die wohlthätigste Leidenschaft für den Körper; allein ihr sinnloser Taumel kann doch bis zu einer erschöpfenden Verschwendung der unaufhaltsam überströmenden Lebensfülle gehen. Selbst Jubeln und Springen, so ausgelassen und anhaltend wie es der wilde Natursohn treibt, wird zu einer Art von Arbeit. Dennoch, wie ermüdet auch der Körper sich fühlen möge, reißt ihn die Seele mit sich fort, und gönnt ihm keine Ruhe. So leitete den Menschen dann der Instinkt, [72] oder, wenn man lieber will, eine dunkle Wahrnehmung auf das Mittel, sich dem berauschendsten Genusse ohne abmattende Anstrengung lange und ununterbrochen hingeben zu können. Unvermerkt gewöhnten sich die Füße nach einem Zeitmaaße zu hüpfen, wie es ihnen etwa der rasche Umlauf des Bluts, die Schläge des hüpfenden Herzens angaben; nach einem natürlichen Gesetze der Organisazion mußten sich die übrigen Gebährden, auch die Bewegungen der Stimme in ihrem Gange darnach richten; und durch diese ungesuchte Uebereinstimmung kam Takt in den wilden Jubelgesang, der anfangs vielleicht nur aus wenigen oft wiederholten Ausrufungen bestand.
Hatte man erst einmahl das Wohlthätige dieses Zügels gefühlt, woran die Natur selbst die ungestüme Seele lenkte, ohne daß sie sich eines Zwanges bewußt worden wäre, so ist es nicht wunderbar, daß auch andre Leidenschaften sich willig ihn anlegen ließen. Wenn gleich die Betrübniß nicht zu so raschen Bewegungen hinreißt wie die Freude, so führt sie dagegen auch gar keinen Ersatz für ihre zerrüttenden Wirkungen mit sich. Tage lang jammern ist noch weit angreifender für den Körper als Tage lang jauchzen; und doch konnte das ganz von seinem Verluste überwältigte Gemüth diese einzige Linderung nicht entbehren; es weidete sich, wie Homer es ausdrückt, an der verzehrenden Wehklage. Indem diese, vom Zeitmaaße gefesselt, in Melodie übergeht, ist sie schon nicht ganz trostlos mehr: der erquickende mildernde Einfluß wird von den Sinnen der Seele mitgetheilt.
[73] Wenn jemand unter uns den Tod eines Angehörigen mit Gesang betrauerte, so würden wir entweder glauben, es sei ihm kein Ernst damit, oder er sey wenigstens schon getröstet und erneuere seinen Schmerz nur in der Erinnerung. Dieselbe Handlung unter einem noch ungebildeten, sinnlichen Volke eben so zu beurtheilen, würde sehr gewagt und wahrscheinlich irrig seyn. Den Trojanischen Frauen war es gewiß Ernst mit dem Wehklagen um Hektors Leiche, denn sie sahen verzweifelnd ihren eignen Untergang vor sich: dennoch waren Sänger bestellt, um ihnen dabey mit der Stimme vorzugehn. Gehörte dieß auch in den Zeiten, welche Homer schildert, schon zu den feierlichen Gebräuchen der Trauer, so deutet es doch auf einen natürlichen Ursprung hin. Als Cook auf seiner dritten Reise Neuseeland verließ, so befiel zwey daselbst einheimische Knaben, die er mitgenommen hatte, eine tödliche Schwermuth. Sie weinten und klagten unaufhörlich viele Tage lang, und drückten besonders ihren Schmerz durch ein Lied aus, worin sie, so viel man verstand, ihr nun für immer verlohrnes Vaterland priesen. An eine hergebrachte Sitte läßt sich hiebey nicht denken, und da dieß Lied sich auf eine ganz ungewöhnliche Lage bezog, so muß man vermuthen, daß die jungen Wilden es nicht aus dem Gedächtnisse gesungen, sondern daß sie es mitten in ihrer tiefsten Bekümmerniß gedichtet haben. Es würde nicht schwer seyn, ähnliche Beyspiele zu häufen.
Was ich von der Freude und der Betrübniß gesagt, wirst du, wenn meine Vermuthung dir anders Genüge [74] leistet, leicht auf die übrigen Leidenschaften anwenden. Die Seele, von der Natur allein erzogen und keine Fesseln gewohnt, foderte Freyheit in ihrer äussern Verkündigung; der Körper bedurfte, um nicht der anhaltenden Heftigkeit derselben zu unterliegen, ein Maaß, worauf seine innre Einrichtung ihn fühlbar leitete. Ein geordneter Rhythmus der Bewegungen und Töne vereinigte beydes, und darin lag ursprünglich seine wohlthätige Zaubermacht. So wäre es denn erklärt, was uns sonst so äußerst fremde dünkt, wie etwas, das uns, die wir so vieles bedürfen, entbehrlicher Ueberfluß oder höchstens ein angenehmer geselliger Luxus scheint, Tanz und Gesang, für den beschränkten, einfältigen Wilden unter die ersten Nothwendigkeiten des Lebens gehören kann.
Mit der Erfindung des Zeitmaaßes treten wir sogleich in ein ganz andres Gebiet hinüber. Was man vor derselben mit den Nahmen Gesang und <Tanz> geehrt hat, ist nichts dem Menschen ausschliessend eigenthümliches; wenn er sich darin vor andern lebenden Geschöpfen auszeichnet, so ist es nicht der Art, sondern höchstens dem Grade nach, und der Unterschied hat seinen Grund bloß in der Verschiedenheit seiner Organisazion von andern thierischen. Die Fähigkeit sich selbst zu bewegen hebt auf der Grenze an, wo das Pflanzenreich sich in das Thierreich verliert. Alle Bewegungen des Lebendigen sind aber von zweifacher Art: entweder verursacht sie eine Begierde oder das Gegentheil derselben; (wir haben kein schickliches Wort dafür, wo bloß von thierischer Natur die Rede ist: in die Ausdrücke Abneigung, Verabscheuung, ist schon zu viel Menschliches hineingetragen) oder Schmerz und Vergnügen drückt sich in ihnen aus. [57] Sie lassen sich nicht weniger leicht unterscheiden, wenn sie auch, wie häufig geschieht, in demselben Augenblicke zusammentreffen. Jene haben eine bestimmte Richtung zu einem Gegenstande hin oder davon hinweg: etwas Aeußres hat also auch nach Erregung der Begierde oder ihres Gegentheils, Einfluß darauf. Man kann sie mit den Bewegungen lebloser Körper vergleichen, welche durch Kräfte des Anziehens und Zurückstossens bewirkt werden. Diese hingegen erfolgen, wenn einmal ein gewisser Zustand des Schmerzens oder des Vergnügens da ist, ganz nach innern Gesetzen des <körperlichen> Baues. Sie haben kein äußres Ziel, aber einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt, wovon sie ausgehen, nähmlich das nach aussen hin wirkende Leben. Durch jene wird Befriedigung der Bedürfnisse und Vermeidung dessen betrieben, was Zerstörung droht oder zu drohen scheint; das Thier verrichtet dadurch die zur Erhaltung seines Daseyns nothwendigen Geschäfte. In diesen offenbaren sich seine Zustände, ohne daß es dabey auf Veränderung derselben abgesehen wäre. Sind sie schmerzlich, so haben die dadurch hervorgebrachten Aeusserungen immer das Ansehen von etwas unwillkührlich erpreßtem, wie sie es denn auch wirklich sind, weil kein Thier sich darein ergiebt zu leiden, ausser wenn es innrer Zerrüttung oder äußrer Gewalt durchaus nicht entfliehen kann. Die Bewegungen, welche aus Gefühlen des Wohlseyns und einem Ueberflusse an Lebenskraft entspringen, sind zwar eben so sehr ein blosses Spiel der Organe, und hängen von [58] körperlichen Reizen ab, die unwiderstehlich auf die Muskeln wirken; aber sie schmeicheln uns mit einem täuschenden Schein von Freyheit, und es giebt nichts in der thierischen Welt, was dem menschlichen Genusse des Daseyns so ähnlich wäre. Der Hund begrüßt seinen Herrn, den er nach einiger Abwesenheit wiedersieht, durch tausend lebhafte Sprünge; das Füllen jagt sich muthwillig wiehernd auf der Weide herum; selbst das träge Rind, wenn es nach langem Aufenthalte in den Winterställen zum erstenmal wieder Frühlingsluft wittert, wird zu ungeschickt ausgelassenen Bewegungen und zu einem freudigen Brüllen erweckt. Was liegt wohl im Freudensprunge, im Jubelgeschrey des Wilden, so lange in beyden noch die ursprüngliche Regellosigkeit mit ihrem ganzen Ungestüm herrscht, das ein höheres Leben verriethe als das, welches er mit jenen Geschöpfen theilt? Ja es gibt Thiere, deren Organisazion sich noch viel weiter von der unsrigen entfernt, denen aber die Natur, weil sie nicht wie wir am Erdboden haften sollten, sondern für ein leichteres Element bestimmt waren, eine uns versagte behende und unermüdete Beweglichkeit verliehen hat, welche weit seltner ihren leicht befriedigten Bedürfnissen zu dienen, als ihnen an sich selbst ein feineres Ergötzen zu gewähren scheint. Von den Mücken, wenn sie in der Abendsonne spielen, sagen wir, sie tanzen; und das freye Umhergaukeln des Schmetterlings ist oft beneidet, und zum Sinnbilde eines erhöhten Daseyns erwählt worden.
[59] Eben so verhält es sich mit dem Gebrauch der Stimme. Die meisten thierischen Laute gehören wohl zu den Bewegungen der zweyten Art, welche einen Zustand verkündigen, nicht zu jenen, wodurch etwas erreicht oder vermieden werden soll. Zwar scheinen sich manche Thiere allerley dadurch zu verstehen zu geben, einander herbeyzurufen, ja ganze Unterredungen zu halten. Indessen könnte man, ohne sich gerade wie jener morgenländische Weise dafür auszugeben, man wisse die Sprache der Vögel zu deuten, doch wohl unternehmen, dergleichen Laute und die Antworten darauf, mit Ausschliessung alles Absichtlichen, bloß aus dem Antriebe eines gefühlten Bedürfnisses, und aus ähnlichen, durch die gehörte Stimme eines verwandten Thiers angeregten Reitzen zu erklären. Wie dem auch sey, betrachtet man die Bewegungen der Stimme nicht als Mittel, Gegenstände zu bezeichnen, sondern nur als Ausdruck innrer Zustände, worauf sie doch beym Gesange zurückgeführt werden, so fehlt so viel, daß der Mensch sich hierin eines angebohrnen Vorzugs rühmen könnte, daß er vielmehr nur durch eine Ausbildung, die er allein sich selbst zu geben vermag, und durch die fortgesetzte Uebung vieler Geschlechter, sich die Biegsamkeit, den Umfang der Singstimmen, und das feine Gehör für das Harmonische in den Uebergängen erwirbt, welche manchen Gattungen der Vögel ohne Unterricht eigen sind. Doch an künstlicher Schönheit des Gesanges mag der Mensch sie noch so weit übertreffen; die zarte Regsamkeit der Organisazion, wo[60]durch bey ihnen allen Gefühlen der Lust und des Verlangens Stimme gegeben wird, so daß ihr innigstes Leben in der Kehle zu wohnen scheint, muß er an diesen kleinen Musen der thierischen Schöpfung bewundernd lieben, und kann dieselbe höchstens nur mit ihnen theilen.
An den Bewegungen der Glieder und der Stimme, wodurch der Mensch wirkliche Gefühle ausdrückt (von Nachahmung kann hier noch nicht die Rede seyn) ist also das Zeitmaaß das erste unterscheidende Kennzeichen seiner Natur. Daraus, daß auch manche Thiere an Beobachtung desselben gewöhnt werden können, folgt, wie wir gesehen haben, daß die Fähigkeit, Bewegungen in gemeßnen Zeiten vorzunehmen, auch im Menschen bloß der Organisazion angehört. Aber kein Thier beschränkt auf diese Weise von selbst, ohne menschliche Anleitung, die Freyheit seiner gleichgültigen, geschweige dann seiner leidenschaftlichen Verrichtungen. Daraus folgt unwiderleglich, daß es durch kein Bedürfniß dazu getrieben wird. Da folglich das Bedürfniß, welches den Menschen allgemein auf Erfindung des Zeitmaaßes geleitet hat, unter allen mit ähnlichen Sinnen versehenen Geschöpfen von ihm allein gefühlt wird, so kann es nicht bloß körperlich seyn, sondern muß aus der ihm eigenthümlichen geistigen Beschaffenheit herrühren. Wenn dich so trockne Erörterungen nicht ermüden, meine Freundin, so laß uns auf dem zurückgelegten einige Schritte umkehren, um dieß deutlicher zu entwickeln.
Ich schilderte dir in meinem vorigen Briefe die über[61]wältigende Heftigkeit der Leidenschaft in rohen Gemüthern, und den starken Trieb, sie in die wildesten Aeußerungen zu ergießen, der selbst dem Gefühle gänzlicher Erschöpfung nicht nachgiebt. So schwer es uns fällt in solchen Ausschweifungen die Würde der Vernunft zu erkennen, so ist es doch unläugbar, daß der Mensch nur durch das, was ihn über die Thiere erhebt, derselben fähig wird. Thierische Leidenschaften werden bloß durch körperliche Antriebe erregt; sie werden daher auch durch dergleichen Antriebe von entgegengesetzter Art, sobald die letzten die stärkern sind, unfehlbar wieder aufgehoben. Nur solche Leidenschaften, die ein wahres Bedürfniß zum Ziele haben, können, wenn die Befriedigung verschoben wird, zu einer für das Thier selbst zerrüttenden Heftigkeit gelangen. Andre, wobey dieß nicht der Fall ist, zum Beyspiele, wenn ein Thier durch Neckereyen zum Zorne gereitzt worden, hören bald von selbst auf, befriedigt oder unbefriedigt, wenn der Gegenstand den Sinnen entrückt ist. Der Mensch hingegen ist mit seinem Daseyn nicht auf die Eindrücke des Augenblicks eingeschränkt. Er hat das Vermögen, Vorstellungen selbstthätig festzuhalten und zu erwecken. So wie darauf die ganze Entwickelung der menschlichen Erkenntnißkräfte beruht, so läßt sich auch ohne dasselbe keine Anlage zur Sittlichkeit denken. Ohne Vergleichung könnte der Verstand nicht urtheilen und der Wille nicht wählen. Aber lange ehe der Mensch von seinen Vorstellungen einen sittlichen Gebrauch machen, und sich durch ihr Gegengewicht wider alle sinnlichen Reize bey [62] einem Vorsatze behaupten lernt, wirken sie sinnlich, und ihre ganze Macht wirft sich verstärkend auf die Seite der Leidenschaften. Diese beherrschen also, bis die Vernunft sie unter ihre Botmäßigkeit gebracht hat, den menschlichen Körper unumschränkt, da sie bey dem Thiere nur seinen Bedürfnissen oder seiner Sicherheit dienen, weswegen auch jede Zähmung derselben, wie nützlich der Mensch sie für seine Absichten mit den Thieren finden möge, als eine wahre Ausartung anzusehen ist. Wie frühe schon leidenschaftliche Vorstellungen über körperliche Empfindungen im Menschen die Oberhand gewinnen, darüber lassen sich an ganz kleinen Kindern die auffallendsten Beobachtungen machen. Wie oft lassen sie ihren Verdruß über ein weggenommenes Spielzeug, wodurch doch kein eigentliches Bedürfniß, sondern nur der Trieb nach Beschäftigung befriedigt wird, so laut und anhaltend ausbrechen, daß ihnen die Anstrengung sehr schmerzlich werden muß, und lassen dennoch nicht davon ab! Die Unart des Kindes und die Ausgelassenheit des Wilden fließen aus Einer Quelle her; den ganzen Unterschied machen unentwickelte und entwickelte Organe, Mangel und Ueberfluß an Kräften.
Da der Mensch nun, vermöge der Zusammensetzung seines Wesens, einem verderblichen Uebermaaße in den Leidenschaften ausgesetzt ist, und bey dem ersten Erwachen seiner Freyheit unvermeidlich darein verfällt, so ist ihm eben dadurch aufgegeben, sie zu mäßigen, und Ordnung in seinem Innern zu erschaffen. Aber die gewalti[63]gen Stürme des Gemüths, wodurch diese Foderung um so nothwendiger und dringender wird, verhindern den unerzognen Sohn der Natur sie anzuerkennen, ja sie nur zu vernehmen. Ungezügelte Freyheit ist sein höchstes Gut; in ihr genießt er das volle Gefühl seiner Kraft: wie sollte er nicht alles von sich weisen, was sich anmaaßt, sie im geringsten einzuschränken? Der Mensch hätte also immerfort durch alle Zeiten im Stande der Wildheit verharren können, er hätte durchaus darin verharren müssen, wäre nicht die Natur selbst durch manche wohlthätige Kraft, die sie in ihm und um ihn her verbarg, Vermittlerin zwischen seinen Sinnen und seiner Vernunft geworden. Er nimmt die Hand nicht wahr, welche ihn leitet, und erst wann er von einer höhern Stufe der Bildung zurücksieht, erstaunt er in seinen frühen Träumen Vorbilder seiner theuersten Wahrheiten, in dem, was oft sein Spiel war, Vorübungen der ernsten Pflicht zu erkennen. Gesang und Tanz, die liebsten Beschäftigungen des Menschengeschlechts in seiner Kindheit, bieten ein Beyspiel hievon dar. Der Ausdruck der Leidenschaften wurde weit früher als sie selbst gebändigt. Das letzte hätte einen Vorsatz erfodert, welchen zu fassen das sinnliche Geschöpf noch ganz unfähig war; jenes geschah ohne ein absichtliches Wollen durch das Bedürfniß. Die anfangs unwillkührliche und instinktmäßige Beobachtung des Zeitmaaßes in ausdrückenden Bewegungen und Tönen stellte das Gleichgewicht zwischen Seele und Körper wieder her, welches durch die Uebermacht wilder Gemüths[64]bewegungen und des gleich starken Triebes, sie auszulassen, aufgehoben worden war. Hatte der Mensch diese wohlthätige Wirkung erst einmal erfahren, so kehrte er natürlicher Weise bey jedem neuen Anlasse zu dem zurück, was sie ihm verschafft hatte, und machte es sich zur Gewohnheit. Die geordnete Freyheit, die er in seinem Innern noch nicht kannte, mußte ihm doch in den äußern Verkündigungen desselben gefallen: er ahnete darin entfernt seine höhere Bestimmung. Indem er sich seiner Leidenschaft ungebunden hingab, schmeichelte ihm ein gemessener Rhythmus mit einer Art von Herrschaft über sie. Zwar stellt sich der Mensch in seinem ganzen äußern Thun so dar, wie es der Beschaffenheit und Lage seines Innern gemäß ist; allein diese innige Gemeinschaft zwischen Gefühl und Ausdruck ist nicht bloß einseitige Abhängigkeit. Der Ausdruck, wie sich jeder dieß leicht durch eigne Erfahrung bestätigen kann, wirkt nach innen zurück, und verändert das Gefühl selbst, wenn ihm eine fremde Ursache einen verschiednen Grad der Stärke, oder eine verschiedne Richtung gegeben hat. Auf solche Weise mußten die Leidenschaften, indem ihre kräftigen Ausbrüche durch Einführung eines ordnenden Maaßes in Gesang und Tanz umgeschaffen wurden, ebenfalls gemildert werden.
Daß der Rhythmus gleich von den frühesten Zeiten nach seiner Entstehung diese Wirkung gehabt, darüber giebt es, wie sich von selbst versteht, keine historischen Nachrichten, und kann dergleichen nicht geben. Welches [65] Alterthum viele Sagen der Völker auch von sich rühmen mögen, so sind sie doch gewiß alle viel spätern Ursprungs, und nur der Geist des Wunderbaren, welcher in ihnen herrscht, entrückt sie in jene dämmernde Ferne. Poesie wurde nachher das einzige Mittel, wodurch jedes Geschlecht dem folgenden die Haupteindrücke seines Lebens als den köstlichsten Nachlaß übergab. In ihrer ersten Gestalt, wo sie noch nichts weiter war, als unmittelbarer Ausbruch einer bestimmten, gegenwärtigen Leidenschaft, lebte sie selbst nicht länger als das, was ihr Odem gegeben hatte. Allein gesetzt auch, Ueberlieferung wäre schon möglich gewesen: wie hätte der Mensch, noch kaum zur Besinnung erwacht, der Rückkehr in sich selbst fähig seyn sollen, welche erfodert wurde, um sich von einer solchen allmähligen, nie von andern Gefühlen abgesonderten Wirkung auf sein Innres Rechenschaft zu geben? Wie viel gehörte nicht dazu, bis er überhaupt nur so weit kam, zu sich selbst zu sagen, er habe eine Seele! Wir sehen es ja aus manchem Denkmahl alter oder wenig gebildeter Sprachen, daß Völker, unter denen schon viele andre Betrachtungen angestellt worden waren, immer noch große Mühe hatten, von der wollenden und denkenden Kraft, welche dem Menschen inwohnt, sich eine nur nicht gar verworrene Vorstellung, wie von einem körperlichen Werkzeuge zu machen. Indessen haben wir doch in einigen Mythen, welche die ersten Fortschritte des Menschengeschlechts bildlich erklären sollten, das gültigste Zeugniß, das man in einer Sache dieser Art [66] verlangen kann. Die Anfänge des gesitteten Lebens werden mit der Erfindung der Musik zusammengestellt; die als Götter oder <Heroen> verehrten Stifter beyder, Osiris und Isis bey den Aegyptiern, bey den Griechen vorzüglich Orpheus, sollen sich der Macht des Gesanges bedient haben, um die rohen Gemüther zu zähmen. Freylich läßt sich hievon auch eine andre nicht zu verwerfende Deutung geben, daß man nähmlich ein so großes Wunder nicht sowohl dem Rhythmus der Lieder, als den Empfindungen, die aus ihnen athmeten, den Lehren, die sie vortrugen, zuschreibt. Aber alsdann verjüngt man diese Sagen gewissermaaßen, und betrachtet jene Nahmen, mit welchen ein religiöser Glaube nachher so viel allgemeines verflocht, als wirkliche Personen, deren Wohlthaten ihr Andenken auf die Nachwelt gebracht haben. Denn damit sich einzelne Menschen unter ihren Mitbrüdern durch menschlicheres Gefühl und höhere Erkenntniß auszeichnen können, muß schon das ganze Geschlecht nicht mehr auf der untersten Stufe stehn. Der Gesang muß schon ein Gegenstand des Wohlgefallens geworden seyn, wenn durch seine Hülfe sanften Empfindungen, weisen Sprüchen Eingang verschafft werden soll. Die ältesten aller Erfindungen dankt das Menschengeschlecht Niemanden insbesondre: sie gehören seiner eignen Natur, und demnächst dem Himmel und der Erde an, insofern diese durch günstige Einflüsse ihrer Entwickelung zu Hülfe kamen. Der älteste Orpheus war wohl nirgends persönlich gegenwärtig: er wohnte überall verborgen im thieri[67]schen Menschen, und als er zum ersten Mahl göttlich hervortrat, und das wüste Toben der Leidenschaft durch melodischen Rhythmus fesselte und zähmte, konnte kein Ohr und kein Herz seiner Zaubergewalt widerstehen.
Der Trieb, Andre gleichsam in sein eignes Daseyn aufzunehmen, und wiederum in ihnen vervielfacht zu leben, der zwar nicht selbst die Fähigkeit zur Sprache ist, aber sie doch hervorgerufen hat, macht die eigentlich menschliche Grundlage der Geselligkeit aus, wie viel andre Umstände und Bedürfnisse auch dazu einladen oder nöthigen mögen. Schon in den frühesten Zeiten des geselligen Standes (und wann lebte der Mensch wohl völlig einsam?) mußte daher häufig der Fall kommen, daß dieselben Gefühle mehrere Gemüther zu gleicher Zeit bewegten, entweder weil Einer sie den Uebrigen durch sichtbaren und hörbaren Ausdruck mitgetheilt hatte, oder weil das, was sie hervorbrachte, alle gemeinschaftlich betraf. Das Beysammenseyn einer Anzahl von Menschen in leidenschaftlichem Zustande, von denen jeder sich ganz seiner Willkühr überläßt, muß auch dann, wann sie alle nach derselben Richtung hinstreben, unausbleiblich tumultuarisch werden. Man hat es ja häufig unter gesitteten Völkern erlebt, daß in solchen Fällen die Wahrheit Rasende machte, und der Patriotismus Gräuelthaten verübte. Es entsteht ein Chaos von Kräften, worin selbst das Gleichartige sich zu kennen aufhört und mit blinder Feindseligkeit gegen einander treibt. Will eine Versammlung ihrer würdig handeln, das heißt, nicht als roh zu[68]sammengehäufte Masse, sondern als ein Ganzes, von Einem Willen beseelt, so muß jeder Einzelne sich bis auf einen gewissen Grad seiner Freyheit entäußern, um dagegen von allen Uebrigen vertreten zu werden. Der allgemeine Wille bedarf einer Stimme, die ihn rein und vernehmlich verkündige: wenn die Eintracht einer versammelten Menge nicht mit sinnlicher Gegenwart in ihrer Mitte erscheint, so ist sie so gut als nicht vorhanden. Gäbe es nun ein Mittel, wodurch viele Menschen sich im Ausdrucke derselben Empfindungen vereinigen könnten, ohne sich gegenseitig zu stören noch zu übertäuben, und wodurch bey einem noch so vielfachen, gewaltigen Wiederhalle des lauten Lebensodems doch alles Mißfällige vermieden würde: so müßte dabey die gemeinschaftliche Regung, durch die erklärte Theilnahme Aller bestätigt, sich zwar um so tiefer in die Gemüther pflanzen, aber es könnte nicht fehlen, der milde Sieg des geselligen Triebes über den selbstischen, würde ihre äußere Stürme um vieles besänftigen. Die Leidenschaften der einzelnen Glieder der Gesellschaft glichen alsdann nicht mehr wild laufenden Wassern, die beym geringsten Aufschwellen eine Ueberschwemmung verursachen müssen, sondern wären wie Bäche in einem Strom versammelt, und flössen in ihm zwar unaufhaltsam, doch um so ruhiger fort, je tiefer und breiter sein Bett geworden wäre. Ein solches Mittel ist aber Gesang und Tanz, sobald beyde durch das Zeitmaaß geordnet sind, denn das wird wesentlich erfodert, wenn man nicht bacchantisch durcheinander to[69]ben soll. Dieses könnte man als die zweyte Art ansehen, wie der Rhythmus, bloß als Gesetz der Bewegung betrachtet, den wilden Menschen ein wohlthätiger, göttlicher Orpheus ward. Er war es, der ausdrückende Gebährden und Töne, in denen sonst nur uneingeschränkte, hartnäckige Willkühr geherrscht, an ein friedliches Nebeneinanderseyn gewöhnte, sie zum Bande der Geselligkeit und zugleich zu ihrem schönsten Sinnbilde umschuf. Kein Wunder also, wenn Gesang und Tanz unter wenig gebildeten Völkern von jeher die Seele aller Zusammenkünfte war, und noch ist. Ein gemischter Haufe wird dadurch in Chöre gesondert und gereiht.
Daß diese menschlich natürlichen Künste Sache der Gesellschaft wurden, konnte und mußte zum Theil auf ihre weitere Bildung den entschiedensten Einfluß haben. Zuverläßig beschränkte es zuvörderst ihre ursprüngliche Freyheit, und fügte zu dem, worin man ohne Absicht, fast ohne Bewußtseyn, übereinstimmte, äußerliche Gesetze der Uebereinkunft und des Herkommens hinzu. Um Verwirrung zu vermeiden war eine gewisse Anordnung, besonders beym Tanze, unentbehrlich; und da diese nicht im Wesen des Alle beseelenden Gefühls lag, so gewann der Verstand dabey Raum, besonnener zu verfahren, zu wählen und das an sich Gleichgültige allmählig mit dem Gefallenden zu vertauschen. Das Verlangen nach diesem ist so tief und wesentlich im Menschen gegründet, daß er es fast eben so früh zu offenbaren anfängt, als er Erzeugnisse der Natur für irgend einen Zweck benutzt. Es [70] genügt ihm nicht, daß sein Werkzeug diesen erreiche: er will sich gern durch etwas höheres als Schöpfer darin erkennen. Der Bogen des Wilden muß nicht bloß in die Ferne treffen; das Holz oder Horn, woraus er verfertigt ist, muß auch zierlich geschnitzt und geglättet seyn. Bald wird die Aussenseite seines eignen Körpers ihm ein Gegenstand dieses künstlerischen Triebes: Putz war überall, ausgenommen in ganz rauhen Himmelsstrichen, das frühere Bedürfniß, und bedeckende Kleidung nur ein späterer Fortschritt zur Ueppigkeit. Mag uns der Putz der Wilden (so schelten wir einander Nationenweise, sagt ein wackrer Forscher, ohne daß einmahl jemand so keck oder so billig wäre, zu sagen, was ein Mensch und was ein Wilder sey) noch so abentheuerlich, widersinnig, ja abscheulich vorkommen; das eigenthümliche Gepräge unsrer Natur, welches ihm seine Bestimmung giebt, kann zwar darin entstellt, aber nie ganz ausgelöscht werden. Im Wohlgefallen an vermeyntlich schönem Zierrath, und in dem Vermögen der Einbildungskraft, ihn zu erfinden, liegen die edelsten Künste, die sich je unter geistreichen Völkern bis zur Reife entfaltet haben, wie in ihrem Keime beschlossen. Man glaube auch nicht etwa, daß eine beträchtliche Höhe der Ausbildung dazu gehöre, ehe diese Anlagen wirksam werden können, weil wir im gesitteten Europa unter den geringeren Ständen oft jede Spur davon vermissen. Wenn durch eine drückende Lage das freye Spiel der Kräfte, und mit ihm zugleich der wohlthätige Einfluß der Natur [71] gehemmt wird, ohne daß die Vortheile der Verfeinerung zum Ersatz dafür dienen, so wird der Mensch dadurch in einen Stand der Barbarey zurückgeworfen, dem ungebundne, kräftige Wildheit gewiß weit vorzuziehen ist.
Doch ich kehre von dieser kleinen Abschweifung zurück. Das erste Aufdämmern des vorher schlafenden Triebes nach Schönheit eröffnet wieder eine ganz neue, weite Aussicht künftiger Entwickelungen der drey rhythmischen Künste. Die Seele fing an sich im Ausdrucke ihrer Gefühle, wenigstens solcher, die nicht gradezu schmerzlich sind, zu gefallen, und wiederhohlte ihn daher gern, auch wenn das Bedürfniß, was sie anfangs dazu gedrungen hatte, schon gestillt war. Nun erst wurde also Tanz und Gesang als Ergötzung getrieben. Es mußte endlich dahin kommen, daß man sich durch Hülfe der Phantasie freywillig aus einem ruhigen Zustande in lebhafte Regungen versetzte. So entstand eigentliche Dichtung; so kam Nachahmung zum Vorschein; denn alles Vorhergehende war reine, unvermischte Wahrheit gewesen.
Du wirst bemerkt haben, liebe Freundin, daß ich im Gange aller obigen Betrachtungen zwey
Sätze ohne Beweis angenommen und stillschweigend zum Grunde gelegt, weil sie mir von
selbst einzuleuchten schienen. Erstlich: Poesie sey ursprünglich von der Art gewesen, die
man in der Kunstsprache lyrisch nennt. Zweytens: man habe sie immer unvorbereitet nach der
Eingebung des Augenblicks gesungen; mit einem Ausdrucke, der
[72] uns Deutschen wie die Sache
selbst fremd ist, improvisirt. Was jenes betrifft, so erinnre ich hier nur mit wenigen Worten,
daß dem empfindenden Wesen sein eigner Zustand das Nächste ist; daß der Geist <die> Dinge zuerst nur
in ihrer Beziehung auf diesen wahrnimmt, und schon zu einer sehr hellen Besonnenheit gediehen seyn muß,
um seine Betrachtung derselben, wenn ich sagen darf, ganz aus sich heraus zu stellen. Durch welche
Veranlassungen und auf welchen Wegen die andern Gattungen, die in der lyrischen eingewickelt lagen,
sich in der Folge von ihr gesondert, erzähle ich dir ein andres Mahl. Vorbereitung läßt sich ohne
Absicht nicht denken: und wie sollte diese bey den ältesten Gesängen, Kindern der Leidenschaft und
des Bedürfnisses Statt gefunden haben? Das Natürliche geht immer vor dem Künstlichen her. Zu der Zeit,
da noch alle Menschen dichteten, waren die Dichter wohl nicht so ängstlich für die Ewigkeit ihrer Werke
besorgt, als heut zu Tage: das Lied, das auf ihren Lippen gebohren ward, starb auch in demselben Augenblicke.
Es dem Gedächtnisse einzuprägen, konnte ihnen schwerlich einfallen, eben so wenig als wir alle Worte,
in der Hitze eines leidenschaftlichen Gesprächs ausgeschüttet, aufzubewahren gedenken. Das gemeinschaftliche
Singen gab vielleicht auch hiezu den ersten Anlaß. Sollte der Chor wiederhohlen, was Einer vorgesungen hatte,
so mußte er sich Worte und Melodie wenigstens für so lange merken; das Gedächtniß wurde mit ins Spiel
gezogen, wie gering auch der Dienst seyn
[73] mochte, den man ihm anfangs zumuthete. Doch dieß läßt sich auch
aus einer andern Ursache ableiten. Die Sprache war so äußerst arm an Worten und Wendungen, der Kreis
der Vorstellungen so enge gezogen, daß man nicht vermeiden konnte, häufig auf eben dasselbe zurückzukommen.
Wenige Ausrufungen hießen schon ein Lied: sie genügten dem einfältigen Herzen, erschöpften aber auch den
ganzen Reichthum des kindischen Geistes. Oft gesungen, blieben sie natürlich samt ihren Anordnungen im
Gedächtnisse hängen, und boten sich bey einer ähnlichen Gelegenheit von selbst wieder dar.
Um deine Geduld zu belohnen, liebste Amalie, wenn du diesen Brief, ohne etwas zu überspringen, bis zu Ende gelesen hast, füge ich etwas hinzu, worüber du wenigstens einen Augenblick lächeln magst; ein paar Proben von Poesie, welche ein Weltumsegler aus der Südsee zurückgebracht. Folgendes Lied dichteten einige Neuseeländer aus dem Stegereif, als sie den Tod eines ihnen befreundeten Taheitiers erfuhren:
Aeghih, matte, ah wäh, Tupaia!
Gegangen, todt! 0 weh! Tupaia!
Das zweyte ist fröhlicher. Die Taheitierinnen begrüßen damit ihre Göttin O-Hinna, die nach ihrem Glauben in den Flecken des Mondes wohnt:
Te-Uwa no te malama,
Te-Uwa te hinarro.
Dem Monde ist doch von jeher in allen Landen viel artiges gesagt worden. Lebe wohl!
Die Fortsezung folgt.
[Die Anmerkungen stehen als Fußnoten auf den in eckigen Klammern bezeichneten Seiten]
[97] * Ibn Arabschah. S. Jones de poësi Asiat. im ersten Kapitel.
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[98] * Klopstok und Bach. Das Lied heißt, wo ich nicht irre, Aedon.
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[100] * S. Lettre sur l'homme et ses rapports, in den Oeuvres philosophiques de M. F.
Hemsterhuys. T. I. vorzüglich p. 182-190.
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Erstdruck und Druckvorlage
Die Horen, eine Monatsschrift.
1795, Stück 11, S. 77-103 (= 1. und 2. Brief)
1796, Stück 1, S. 54-74 (= 3. Brief)
1796, Stück 2, S. 56-73 (= 4. Brief).
Ungezeichnet; keine Fortsetzung.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
Die Horen online
URL: http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/toc/2104386/0/LOG_0000/
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/214402-5
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/012361589
Die Horen inhaltsanalytische Bibliographie
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Horen
Zeitschriften-Repertorien
Mit Änderungen aufgenommen in
Kommentierte Ausgaben
Werkverzeichnis
Verzeichnisse
Goedeke, Karl: Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen.
2. Aufl. Bd. 6. Leipzig u.a.: Ehlermann 1898, S. 5-16.
URL: https://archive.org/details/grundriszzurges03goog
Schmidt, Harald: Art. August Wilhelm von Schlegel.
In: Internationales Germanistenlexikon, 1800 – 1950.
Bd. 3. Berlin u.a. 2003, S. 1596-1599.
Schlegel, August Wilhelm / Schlegel, Friedrich: Charakteristiken und Kritiken.
Bd. 1. Königsberg: Nicolovius 1801.
URL: https://archive.org/details/charakteristike00schlgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/nyp.33433082508692
URL: http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-33558
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10574601
Schlegel, August Wilhelm / Schlegel, Friedrich: Charakteristiken und Kritiken.
Bd. 2. Königsberg: Nicolovius 1801.
URL: https://archive.org/details/charakteristike01schlgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/nyp.33433082508700
URL: http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-33558
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10574602
Schlegel, August Wilhelm: Blumensträusse italienischer, spanischer und portugiesischer Poesie.
Berlin: Realschulbuchhandlung 1804.
URL: https://archive.org/details/blumenstrusseit00schlgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/nyp.33433082522412
Schlegel, August Wilhelm: Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d'Euripide.
Paris: Tourneisen fils 1807.
URL: https://archive.org/details/comparaisonentre00schl
URL: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k5530384r
Schlegel, August Wilhelm: Vergleichung der Phädra des Racine mit der des Euripides.
Uebersetzt, und mit Anmerkungen und einem Anhange begleitet von H. J. v. Collin.
Wien: Pichler 1808.
URL: https://books.google.fr/books?id=cR86AAAAcAAJ
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10097878
Schlegel, August Wilhelm: Ueber dramatische Kunst und Litteratur. Vorlesungen.
Erster Theil. Heidelberg: Mohr und Zimmer 1809.
URL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hxvmsc
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10575473
Schlegel, August Wilhelm: Ueber dramatische Kunst und Litteratur. Vorlesungen.
Zweyter Theil. [Erste Abtheilung]. Heidelberg: Mohr und Zimmer 1809.
URL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hxvmt2
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10575474
Schlegel, August Wilhelm: Ueber dramatische Kunst und Litteratur. Vorlesungen.
Zweyter Theil. Zweyte Abtheilung. Heidelberg: Mohr und Zimmer 1811.
URL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hxqljm
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10575475
Schlegel, August Wilhelm: Vermischte und kritische Schriften.
Bd. 1: Sprache und Poetik.
Leipzig: Weidmann 1846
(= Sämmtliche Werke. Hrsg. von Eduard Böcking, Bd. 7).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/njp.32101075727774
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10604569
Schlegel, August Wilhelm: Vermischte und kritische Schriften.
Bd. 2: Charakteristiken und Litteratur.
Leipzig: Weidmann 1846
(= Sämmtliche Werke. Hrsg. von Eduard Böcking, Bd. 8).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hwsn9t
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10605451
Schlegel, August Wilhelm: Vermischte und kritische Schriften.
Bd. 3: Malerei. Bildende Künste. Theater.
Leipzig: Weidmann 1846
(= Sämmtliche Werke. Hrsg. von Eduard Böcking, Bd. 9).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hwsn9sP
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10605454
Schlegel, August Wilhelm: Vermischte und kritische Schriften.
Bd. 4: Recensionen.
Leipzig: Weidmann 1846
(= Sämmtliche Werke. Hrsg. von Eduard Böcking, Bd. 10).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/njp.32101001593241
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10605453
Schlegel, August Wilhelm: Vermischte und kritische Schriften.
Bd. 5: Recensionen.
Leipzig: Weidmann 1847
(= Sämmtliche Werke. Hrsg. von Eduard Böcking, Bd. 11).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hwsn9q
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10605456
Schlegel, August Wilhelm: Vermischte und kritische Schriften.
Bd. 6: Recensionen.
Leipzig: Weidmann 1847
(= Sämmtliche Werke. Hrsg. von Eduard Böcking, Bd. 12).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hwsn9p
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10605455
Schlegel, August Wilhelm: Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst.
[Hrsg. von Jakob Minor]. Erster Teil (1801 – 1802): Die Kunstlehre.
Heilbronn: Henninger 1884 (= Deutsche Litteraturdenkmale des
18. und 19. Jahrhunderts, 17).
URL: https://archive.org/details/deutschelittera08sauegoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/wu.89016965899
Schlegel, August Wilhelm: Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst.
[Hrsg. von Jakob Minor]. Zweiter Teil (1802 – 1803): Geschichte der klasssischen Literatur.
Stuttgart: Göschen 1884 (= Deutsche Litteraturdenkmale des
18. und 19. Jahrhunderts, 18).
URL: https://archive.org/details/vorlesungenber00schluoft
PURL: https://hdl.handle.net/2027/wu.89045963683
Schlegel, August Wilhelm: Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst.
[Hrsg. von Jakob Minor]. Dritter Teil (1803 – 1804): Geschichte der romantischen Litteratur
(Nebst Personenregister zu den drei Teilen).
Stuttgart: Göschen 1884 (= Deutsche Litteraturdenkmale
des 18. und 19. Jahrhunderts, 19).
URL: https://archive.org/details/vorlesungenber03schluoft
PURL: https://hdl.handle.net/2027/pst.000004720911
August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen.
Bd.1: Vorlesungen über Ästhetik 1 (1798 – 1803).
Hrsg. von Ernst Behler.
Paderborn u.a.: Schöningh 1989.
August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen.
Bd. 2.1: Vorlesungen über Ästhetik (1803 - 1827).
Textzsst. von Ernst Behler. Mit einer Nachbemerkung von Georg Braungart.
Paderborn u.a.: Schöningh 2007.
August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen.
Bd. 2.2: Vorlesungen über Ästhetik (1798 – 1827).
Hrsg. von Stefan Knödler.
Paderborn u.a.: Schöningh 2016.
August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen.
Bd. 3: Vorlesungen über Enzyklopädie (1803).
Hrsg. von Frank Jolles u. Edith Höltenschmidt.
Paderborn u.a.: Schöningh 2006.
August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen.
Bd. 4.1: Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur (1809-1811).
Hrsg. von Stefan Knödler.
Paderborn u.a.: Schöningh 2018.
August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen.
Bd. 4.2: Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur (1809-1811).
Hrsg. von Stefan Knödler.
Paderborn u.a.: Schöningh 2018.
Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels.
URL: http://august-wilhelm-schlegel.de/briefedigital/
Literatur: August Wilhelm Schlegel
Bär, Jochen A.: Sprachreflexionen der deutschen Frühromantik.
Konzepte zwischen Universalpoesie und grammatischem Kosmopolitismus.
Mit lexikographischem Anhang.
Berlin u. New York 1999.
Bär, Jochen A.: Das semantisch-pragmatische Konzept 'Brief'
in der deutschen Romantik.
In: August Wilhelm Schlegel im Dialog.
Epistolarität und Interkulturalität.
Hrsg. von Jochen Strobel.
Paderborn 2016 (= Schlegel-Studien, 11), S. 139-154.
Behler, Ernst: Lyric Poetry in the Early Romantic Theory of the Schlegel Brothers.
In: Romantic Poetry. Hrsg. von Angela Esterhammer.
Amsterdam u.a. 2002 (= A comparative history of literatures in European languages, 17), S. 115-141.
Brandmeyer, Rudolf: Poetiken der Lyrik: Von der Normpoetik zur Autorenpoetik.
In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte.
Hrsg. von Dieter Lamping.
2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 2-15.
Braungart, Georg K.: Die Lyriktheorie August Wilhelm Schlegels.
In: "Zeitenwende – Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert":
Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000.
Hrsg. von Peter Wiesinger. Bd. 6: Epochenbegriffe: Grenzen und Möglichkeiten. Bern u.a. 2002
(= Jahrbuch für internationale Germanistik. Reihe A, 58), S. 191-199.
Brown, Clive: Classical and Romantic Performing Practice 1750-1900.
Oxford 1999.
Buschmeier, Matthias / Kauffmann, Kai (Hrsg.):
August Wilhelm Schlegel und die Philologie.
Berlin 2018 (= Zeitschrift für deutsche Philologie; Sonderheft, 137).
Couturier-Heinrich, Clémence: "Tendance naturelle au rythme"
et "observation instinctive de la mesure":
l'inscription du rythme dans le domaine du spontané chez Johann Georg Sulzer
et August Wilhelm Schlegel.
In: Revue germanique internationale 18 (2002), S. 53-70.
Couturier-Heinrich, Clémence: Aux origines de la poésie allemande.
Les théories du rhythme des Lumières au Romantisme. Paris 2004 (= De l'Allemagne).
Dembeck, Till: Der Ton der Kultur.
Lyrik und Sprachforschung im 19. Jahrhundert.
Göttingen 2023.
Fromm, Waldemar: An den Grenzen der Sprache.
Über das Sagbare und das Unsagbare in Literatur und Ästhetik der
Aufklärung, der Romantik und der Moderne.
Freiburg i. Br. u.a. 2006 (= Rombach Wissenschaft; Reihe Litterae, 135).
S. 315-321: Psychologie und Anthropologie der Sprache der Kunst in Wackenroders
Herzensergießungenund A. W. Schlegels Brief über das Silbenmaß.
Hillebrandt, Claudia: Mit den Ohren lesen.
Zur akustischen Dimension von schriftfixierter Lyrik
und zu drei Stationen einer Sprachklanggeschichte der deutschsprachigen Lyrik
(Klaj - Klopstock - Tieck).
Frankfurt a.M. 2022 (= Das Abendland; Neue Folge, 47).
Holmes, Susanne: Synthesis der Vielheit.
Die Begründung der Gattungstheorie bei August Wilhelm Schlegel.
Paderborn u.a. 2006.
S. 59-80: Zu den "Briefen".
Oellers, Norbert (Hrsg.): Friedrich Schiller – August Wilhelm Schlegel.
Der Briefwechsel.
Köln 2005.
S. 56-57: Schillers Kritik der "Briefe" (10. Dez. 1795).
Ronzheimer, Elisa: Poetologien des Rhythmus um 1800.
Metrum und Versform bei Klopstock, Hölderlin, Novalis, Tieck und Goethe.
Berlin 2020.
Literatur: Die Horen
Davies, Steffan: Weimar Classicism and Intellectual Exile:
Schiller, Goethe, and Die Horen.
In: The Modern Language Review 114 (2019), S. 751-787.
Gross, Michael: Ästhetik und Öffentlichkeit.
Die Publizistik der Weimarer Klassik.
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Heitz, Raymond: Publizistik, Politik und die Weimarer Klassik.
Die Horen im Kreuzfeuer von Schillers Zeitgenossen.
In: Schiller publiciste / Schiller als Publizist. Hrsg. von Raymond Heitz u.a.
Bern u.a. 2007 (= Convergences, 42), S. 357-384.
Kall, Sylvia: "Wir leben jetzt recht in Zeiten der Fehde".
Zeitschriften am Ende des 18. Jahrhunderts als Medien und Kristallisationspunkte literarischer Auseinandersetzung.
Frankfurt a.M. 2004 (= Bochumer Schriften zur deutschen Literatur, 62).
Kuhles, Doris: Deutsche literarische Zeitschriften von der Aufklärung bis zur Romantik.
Bibliographie der kritischen Literatur von den Anfängen bis 1990.
2 Bde. München u.a. 1994.
Nutt-Kofoth, Rüdiger: Schillers Medienpolitik.
In: Schreibekunst und Buchmacherei.
Zur Materialität des Schreibens und Publizierens um 1800.
Hg. v. Cornelia Ortlieb u. Tobias Fuchs.
Hannover 2017, 93115.
Rammerstorfer, Lydia: Der "vertrauliche Zirkel".
Schillers Medienpolitik am Beispiel der Horen-Ankündigung.
In: Schillers Feste der Rhetorik.
Hrsg. von Peter-André Alt u. Stefanie Hundehege.
Berlin 2022, S. 171-185.
Schürmann, Inga: Die Kunst des Richtens und die Richter der Kunst.
Die Rolle des Literaturkritikers in der Aufklärung.
Göttingen 2022.
Schulz, Günter: Schillers Horen. Politik und Erziehung.
Analyse einer deutschen Zeitschrift.
Heidelberg 1960.
Urban, Astrid: Kunst der Kritik.
Die Gattungsgeschichte der Rezension von der Spätaufklärung bis zur Romantik.
Heidelberg 2004 (= Jenaer germanistische Forschungen; N.F., 18).
Kap. 7: Die Sublimierung der Kritik in der 'schönen Form':
Schillers Horen.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer