Gottfried August Bürger

 

 

Gedichte.
Erster Theil

 

Vorrede.

 

Text
Editionsbericht
Werkverzeichnis
Literatur: Bürger
Literatur: Sonett

 

Weise Männer trauen der Dichtkunst das Vermögen zu, nicht nur den Ohren und Herzen der Edlen zu schmeicheln, sondern auch manche wichtige Kraft der Menschennatur zum Anbau und Genuß des Schönen und Guten zu erhöhen. Sollte diese Wirkung einige Töne dieser Lieder begleiten, so würde das den Sänger des Blümchens Wunderhold, der von der göttlichen Kunst groß, von sich selbst aber sehr mäßig denkt, freylich noch nicht berechtigen, in Prosa nun eben so zu stolziren, als es in Versen bisweilen wohl kleiden mag. Allein er dürfte doch einen bescheidenen Muth gegen diejenigen fassen, vor welchen auch der beste Dichter, vermuth[4]lich weil er so titel- und brotlos ist, ein sehr überflüßiges Nebengeschöpf zu seyn scheinet. Der Niedergeschlagene, zwar weit entfernt auf Sonnenrang Anspruch zu machen, brauchte sich doch alsdann in der großen Welt- und Wesenkette nicht für unnützer und verdienstloser, als wenigstens den Zephyr zu halten. Der Flatterer, der Tändler, der Gauckler, oder wie er sonst noch gescholten werden mag, treibt zwar weder Kriegs- und Handelsschiffe, noch große Mühlen zur unmittelbaren Leibesnahrung und Nothdurft: allein er hilft doch Blumen aus den Knospen schmeicheln und süße Früchte zur Reife bringen, Blumen und Früchte, welche vielen wohlgebornen und wohl erzogenen Gemüthern große Freude machen und ungemein wohl bekommen. Er wehet den Lieblingen der Natur nach des Tages Last und Hitze die Wohlgerüche des Frühlings zu; er trocknet dem Wanderer die Pfade, dem [5] Müden die nasse Stirn ab; er kühlt dem Schnitter die glühenden Wangen, erquickt entathmete Busen, und stärkt erschlaffte Nerven zu neuen Anstrengungen. Sollten die Ansprüche des Dichters auf ähnliche Verdienste, wofern er sonst nur dem Genius der Kunst genug thäte, gegründet seyn: so wären sie ja auch wohl nicht so unbescheiden, daß sie verdienten nieder geschlagen zu werden. Alles, was zur Vollkommenheit und zum Wohlseyn des Menschen, der doch bekanntlich noch etwas mehr, als blos Körper ist, auf irgend eine Weise beyträgt, das verdient von verständigen und gerechten Menschen als etwas nützliches angesehen und geschätzet zu werden. Kann die schöne, geist- und herzvolle Schwester im Hause ein solches von sich rühmen, so mag es ihr wohl nicht zum gerechten Vorwurfe gereichen, daß sie sich nicht auch auf Kochen, Backen und Brauen verstehet. Sie ist freylich keine [6] Partie für den Gast- und Speisewirth: allein es gibt auch immer noch andere wackere Männer, deren Hauptsache es gerade nicht ist, um bloße Köchinnen oder Schaffnerinnen mit Schlüsselbündeln zu werben. Sie selbst aber wird wiederum auf diese nie deswegen mit spöttischem Uebermuth blicken, wird ihnen nicht das mindeste von ihren verdienten Ehren entziehen, ja selbst jeden Vortritt, den sie verlangen, sehr willig einräumen. Denn je mehr Verstand, Herz und Geschmack: desto mehr Gerechtigkeit, Toleranz und Bescheidenheit.

Mein geringes Verdienst darf ich nur auf einige Töne gründen. Denn nur von einigen wage ich es zu hoffen, daß sie mein poetisches Daseyn nicht ganz ohne Werth für mein Vaterland lassen werden. Für die ungleich größere Menge der unvollkommenen, die wenig oder nichts, ja vielleicht – o hätte mich doch mein guter Genius davor [7] bewahret! – vielleicht wohl gar schlecht auf Herz und Geschmack wirken, von welchen allen es, wie bey Shakespear von Macbeths Unholdinnen heißen möchte:

Poetry hath bubbles, as the water has;
And these are of them —

bedarf ich gewiß sehr großer Nachsicht. Ein gehöriger Grad der Strenge bey dieser neuen Ausgabe meiner theils 1778 bereits gesammelten, theils nachher einzeln erschienenen, und endlich gegenwärtig ganz neu hinzugefügten Gedichte, hätte vielleicht mehr, als die Hälfte derselben, ganz verwerfen, und von dem Reste wohl abermahls mehr, als die Hälfte wegschneiden, oder doch ganz anders zur Vollkommenheit empor arbeiten müssen. Enthält diese Sammlung, sowohl in Materie als Form, ächtes poetisches Gold, so fassen es, ausgebrannt und von den Schlacken gereinigt, vermuthlich nur wenige Bogen.

[8] Warum ich denn nun aber diesen Proceß nicht vorgenommen habe? – Aufrichtig zu reden, ich trauete mir selbst nicht Unbefangenheit genug zu. Nicht, daß ich aus Autorliebe gefürchtet hätte, vieles zu fest, sondern vielmehr zu lose zu halten, was meiner gegenwärtigen Stimmung – vielleicht auch Verstimmung – mißfällt, gleichwohl aber mehrern Lesern noch angenehm seyn kann. Die Reduction sey daher lieber der Kritik und dem Geschmacke des gebildeten Publikums überlassen. Aus Ehrfurcht und Gefälligkeit gegen dasselbe bin ich sehr bereit, alles, was sein Urtheil verwirft, ohne Widerrede mit zu verwerfen. Ohne Bedauern habe ich dieß schon mit mehrern Kleinigkeiten gethan, welche einiges Mißfallen erregt zu haben schienen. Es ist daher gewiß keine Grimasse, sondern hoher und ungeheuchelter Ernst, wenn ich um die strengste, wiewohl freylich auch be[9]sonnenste, Beurtheilung, und für kein einziges dieser Gedichte, ja nicht für einen Vers, nicht für ein Wort, um unverdiente Schonung bitte. Für meine Person hingegen wünsche ich allerdings, daß der ehrwürdige Richter nicht mich selbst mit Verdruß und Unwillen ansehen wolle, wenn ich das Gefühl des Schönen und Guten wider meinen Willen irgend wo beleidigt haben sollte. Der Wunsch, meinem Vaterlande in diesem Zweige der Litteratur, sey er nun viel oder wenig werth, keine Schande zu machen; ja wo möglich es dahin zu bringen, daß die Edlen sich meiner ein wenig freuen dürften; dieser Wunsch wird erst mit meinem Leben erkalten. Von ihm beseelt, werde ich, wenn diese Sammlung nun noch eine rechtmäßige Auflage erleben sollte, der erste und eifrigste seyn, in das Grab der Vernichtung und Vergessenheit hinabzutreten, alles was deutschen Geist [10] und Geschmack vor Gegenwart und Zukunft entehren könnte.

Herzlich bitte ich indessen den guten Genius unserer Litteratur wegen mancher bösen Nachahmung um Verzeihung, wozu ich durch mein Beyspiel, sowohl vorhin, als vielleicht itzt abermahls, den Unmündigen vorgeleuchtet haben mag. Ich will mich nicht damit entschuldigen, daß dieses auch oft durch gute und untadelhafte Beyspiele geschehen könne, wenn es dem Nachahmer an Beurtheilunsgkraft und Geschmack mangelt. Wohl aber will ich diejenigen, die etwa allzusehr von meiner Weise eingenommen seyn möchten, aufrichtig vor mir selbst gewarnet haben; damit ich künftig nur für meine eigenen, nicht aber auch noch für fremde Vergehungen zu büßen haben möge. Wenn diejenigen, welche so zuversichtlich meinem Ansehen folgen zu können glauben, wüßten, wie ängstlich und verzagt ich oft [11] selbst bin: so würden sie einem so schwachen Führer sich nicht anvertrauen.

 

Es ist überhaupt ein sehr mißliches Unternehmen, fremde Eigenheiten nachzuahmen. Demjenigen, dessen Eigenheiten es sind, pflegen sie gemeiniglich so innig natürlich und geläufig zu seyn, daß er sie selbst nicht eher an sich gewahr wird, als bis ihn ein Dritter aufmerksam darauf macht. Eben daher aber, und weil sie so ganz zu seiner übrigen Individualität passen, kleiden sie auch nur ihren Eigenthümer entweder gut, oder doch wenigstens erträglich, den Nachahmer hingegen oft unausstehlich. Nachahmer fremder Manieren kommen mir immer nicht anders vor, als Kosacken oder Bettler. Sie stecken sich in geraubte oder erbettelte Kleider, wovon ihnen selten ein Stück völlig gerecht seyn wird.

 

[12] Sind denn nun aber alle guten und bösen Worte, jedem Original seine Weise für sich zu lassen, vergebens; ist alles Bitten und Flehen umsonst, ihm den vielleicht sonst zu seinem und des Publikums Besten noch lange fortblühenden Handel nicht vor der Zeit durch tagtägliche Nachäffereyen zu Grunde zu richten; indem man ja auch der besten Töne auf dem besten Instrument endlich überdrüssig werden muß, wenn ihrer Wiederholungen gar kein Ende ist *); soll und muß <denn> schlechterdings auch ich, der geringste von allen, die ihr eigenes Instrument auf eigene Weise spielten, nachge[13]ahmt werden; wiewohl unter allen möglichen Mitteln, meine Hochachtung und Liebe zu gewinnen, dieses gewiß das unglücklichste ist: so rathe ich doch wohlmeinend, hierzu nicht gerade <meine> Eigenheiten zu wählen, bevor sie nicht eine zuverläßige Kritik ausdrücklich gut geheißen hat. Denn ich befürchte sehr, daß die Kritik viele derselben nur mir aus Güte und Nachsicht stillschweigend hingehen läßt, weil ich ihr vielleicht nicht von andern Tugenden gänzlich entblößt scheine. Nach einigen bin ich mir wenigstens eines sehr eifrigen Bestrebens bewußt, wenn auch in der Ausführung die Kraft nicht immer dem Willen die Wage halten sollte. Wie wenn aber dennoch die ehrwürdige Göttinn mein Bestreben nach Klarheit, Bestimmtheit, Abrundung, Ordnung und Zusammenklang der Gedanken und Bilder; nach Wahrheit, Natur und Einfalt der Empfindungen; nach dem [14] eigenthümlichsten und treffendsten, nicht eben aus der todten Schrift- sondern mitten aus der lebendigsten Mundsprache, aufgegriffenen Ausdrucke derselben; nach der pünktlichsten grammatischen Richtigkeit, nach einem leichten, ungezwungenen, wohlklingenden Reim- und Versbau, hin und wieder zu erkennen glaubte, und mir bloß darum manchen verwerflichen Bürgerianismus verziehe: würde und dürfte sie nun auch meinem Nachahmer, der an dieß alles nicht gedacht hätte, gleiche Huld widerfahren lassen? – Wenn ich wirklich, was man mir bisweilen nachgerühmt hat, ein Volksdichter bin, so habe ich dies schwerlich meinen Hopp Hopp, Hurre Hurre, Huhu u.s.w. schwerlich diesem oder jenem Kraftausdrucke, den ich vielleicht nur durch einen Mißgriff aufgehascht, schwerlich dem Umstande zu verdanken, daß ich ein Paar Volksmärchen in Verse und Reime gebracht ha[15]be. Nein, dem unabläßigen Bestreben nach den vorhin genannten Tugenden muß ichs zu verdanken haben; dem Bestreben, daß dem Leser sogleich alles unverschleyert, blank und bar, ohne Verwirrung, in das Auge der Fantasie springe, was ich ihm anzuschauen, daß alles sogleich die rechte Saite seiner Empfindsamkeit treffe, was ich ihm habe zu empfinden geben wollen.

In meiner Nachtfeyer, in dem hohen Liede und einigen andern regt sich freylich etwas alte Mythologie, die aber auch fast populär ist, oder sich doch mit wenigen Worten selbst einem Kinde erklären läßt. Wenn indessen, höchstens nur diese Mythologie abgerechnet, in jenen Gedichten nicht eben der Geist der Popularität, das ist, der Anschaulichkeit und des Lebens für unser ganzes gebildetes Volk, – Volk! Nicht Pöbel! – als in der Lenore und ihres Gleichen herrscht und erkannt wird: so fühle [16] ich mich durch den Ehrennamen eines Volksdichters nur ein wenig geschmeichelt. In diesem Sinne habe ich es gemeint, was ich schon in der Vorrede zur ersten Ausgabe, (die ich übrigens zu vergessen bitte,) von Volkspoesie behauptet, nur aber ein wenig abenteuerlich ausgedrückt habe. Ich hätte sagen sollen, was ich auch noch jetzt, und wie ich meine, nicht ohne Besonnenheit, behaupte: Popularität eines poetischen Werkes ist das Siegel seiner Vollkommenheit. Wer diesen Satz sowohl in der Theorie als Ausübung verleugnet, der mißleitet das ganze Geschäft der Poesie, und arbeitet ihrem wahren Endzweck entgegen. Er zieht diese so allgemein menschliche Kunst aus dem ihr bestimmten Wirkungskreise, von dem Markte des Lebens hinweg, und verbannet sie in enge Zellen, ähnlich denen, worin der Meßkünstler mißt und rechnet, oder der Metaphysiker, weni[17]gen Schülern höchst schwer, oder gar nicht verständlich, etwas vergrübelt. Diese Erklärung mag nun noch immer, wie vorhin, den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit seyn, so kann ich doch nicht aufhören, die Poesie für eine Kunst zu halten, die zwar von Gelehrten, aber nicht für Gelehrte, als solche, sondern für das Volk ausgeübt werden muß. In den Begriff des Volkes aber müssen nur diejenigen Merkmahle aufgenommen werden, worin ungefähr alle, oder doch die ansehnlichsten Classen überein kommen. Ich glaube mit nichten, daß dieser Begriff schimärisch, oder für den Dichter unfruchtbar sey, wiewohl ich ganz und gar die Folgerung nicht soweit getrieben haben will, daß nun jedes Gedicht Jedermann in gleichem Maße verständlich und behaglich seyn soll. Anstatt einer umständlichen philosophischen Entwickelung sey es mir erlaubt, meine Meinung nur in [18] einem ganz gemeinen Gleichnisse anschaulich zu machen. Der Schuhmacher, welcher mit einer großen Anzahl zum voraus verfertigter Schuhe zu Markte ziehet, weiß sehr wohl, daß seine Schuhe nicht auf alle Füße passen werden. Es giebt allerdings Abweichungen ins Große und ins Kleine, und selbst Menschen gehen bisweilen auf Pferdefüßen. Deswegen ist doch aber sein allgemeiner Maßstab, wonach er sich richtet, kein Unding; und ob mir, dem gewöhnlichen Manne, gleich nicht alle seine hundert oder tausend Paar Schuhe wie angegossen passen; so könnte ich doch wohl, wenn es drauf ankäme, in allen hundert und tausend Paaren ganz leidlich einhergehn. Wenig Nutzen würde hingegen sowohl ihm, als dem Publikum seine Bude gewähren, wenn er nur Zwerg- oder Riesenschuhe zu Markte gebracht hätte. Einige Paar von beyderley Abweichungen mögen im[19]mer mit unterlaufen. Wahrlich, es ist ein wahres Wort, was schon längst ein scharfsinniger Britte gesagt hat: Human Nature is the same in all reasonable creatures; and whatever falls in with it, will meet with admirers amongst Readers of all Qualities and Conditions *). Dieß ist ungefähr meine Meinung von Volkspoesie, und ich glaube zu wissen, was ich sage.

 

Doch ich verliere mich fast von meinem Wege. Ich wollte nur warnen, daß man meine angebliche Popularität nicht in etwas setzen und nachahmen möchte, worin sie gewiß nicht, wenigstens nicht allein bestehet, noch bestehen darf, wenn sie mir zur Ehre, und meinen Werken zum Lebensbalsam über das Restchen dieses Jahrhunderts hinaus gereichen soll. In dem Sinne, wie ich ein Volksdichter, oder lieber ein populärer [20] Dichter zu seyn wünsche, ist Homer, wegen der spiegelhellen Durchsichtigkeit und Temperatur seines Gesangstromes, der größte Volksdichter aller Völker und Zeiten, sind es, mehr oder weniger, alle großen Dichter, auch die unsrigen, und gerade in ihren allgemein geliebtesten und unsterblichsten Versen, unendlich mehr als ich gewesen. Was sie nicht populär gedichtet haben, das ist zuverläßig bey ihren lebendigen Leibern bereits vergessen, oder gar niemahls in die Vorstellungskraft und das Gedächtniß ihrer Leser aufgenommen worden. Mit gutem Vorbedacht gebe ich daher alles, was ich nicht populär, nicht innerhalb des allgemein anschaulichen und empfindbaren poetischen Horizontes gedichtet habe, wenn auch nicht gerade als Fehler, dennoch als etwas Preis, woran ich selbst am wenigsten Wohlgefallen habe.

 

[21] Es thut mir leid, daß ich hier so viel von mir selbst reden muß, welches, wie ich wohl weiß, nicht fein läßt. Ich bin mir indessen bewußt, daß ich von mir selbst so unbefangen und gleichgültig, als von einem fremden Manne rede. Auch geschieht es minder mir, als der Kunst und ihren Jüngern zu Liebe. Denn unter andern auch darum entledige ich mein Herz über Nachahmung, oder vielmehr Nachäffung, welche anstatt des Kernes die Schale ergreift, weil ich eine Überschwemmung von schlechten Sonnetten befürchte, wenn die wenigen, die ich versucht habe, Beyfall gewinnen sollten. Diese Gedichtform, deren sich die neuern Ausländer, besonders Italiäner, noch bis auf den heutigen Tag sehr häufig bedienen, war auch bey unsern ältern Dichtern nicht wenig im Gange. Der Zwang aber, die Plumpheit und der Uebelklang, womit die meisten, wo nicht alle, deutschen [22] Sonnette dahinstolperten, brachte vermuthlich nachher, bey mehrerer Cultur des Geschmackes, diese Form, bis auf wenige Ausnahmen in neuern Zeiten *), aus dem Gebrauch und fast ganz in Vergessenheit. Wenn bessere Dichter oder Kunstrichter ihrer ja noch erwähnten, so geschah es mit einer Art Geringschätzung, womit man etwa von der Kunst sprechen möchte, Hirsenkörner durch ein Nadelöhr zu werfen. Die undankbare Schwierigkeit des Sonnettes ward beynahe, und zwar in Sonnetten selbst, zum Sprichworte. Kurz, man hielt die Kunst des Sonnettes für nicht viel besser, als die Kunst der Anagrammen, Logogryphen, Akrostichen, Chronogrammen und Räthsel. Allein mir däucht denn doch, man sprach davon nur wie der Fuchs von den [23] Trauben, indem der Vorwurf des Zwanges und der Unbehülflichkeit mehr dem Dichter, als der Form und unserer Sprache gebühret. Ein gutes deutsches Sonnett kann demjenigen, der nur einigermaßen Ohr hat, seiner Sprache mächtig ist, und ihren Knoten, deren sie freylich leider! genug hat, auszuweichen verstehet, nicht viel schwerer seyn, als jedes andre kleine gute Gedicht von diesem Umfange; und wenn es gut ist, so schlägt es mit ungemein lieblichen Klängen an Ohr und Herz. Das Hin- und herschweben seiner Rhythmen und Reime wirkt auf meine Empfindung beynahe eben so, als ein von einem schönen, anmuthigen, bescheidenen jungen Paare, schön und mit bescheidener Anmuth getanztes kleines Menuet, und in dieser Stimmung halte ich es für sehr wahr, was Boileau sagt:

Un sonnet sans défaut vaut seul un long poëme.

[24] Es ist aber, glaube ich, nicht allein alsdann gut, wann seine mechanischen Regeln, die nach Boileau *) Apoll aus Bizarrerie für dasselbe erfunden und festgesetzt haben soll, auf das genaueste beobachtet werden, wiewohl man, pour pousser au bout tous les rimeurs, und um die Unberufenen abzuwehren, wohl thut, dieselben auf das genaueste beyzubehalten. Sondern vornehmlich alsdann ist das Sonnett gut, wann sein Inhalt ein kleines, volles, wohl abgerundetes Ganzes ist, das kein Glied merklich zu viel, oder zu wenig hat, dem der Ausdruck überall so glatt und faltenlos, als möglich, anliegt, ohne jedoch im mindesten die leichte Grazie seiner hin und her schwebenden Fortbewegung zu hemmen. Es muß aus der Seele, es muß von Zunge und Lippen gleiten, glatt und blank, wie [25] der Aal, welcher der Hand entschlüpfend auf dem bethauten Grase sich hinschlängelt. Wenn man versuchte, das gute und vollkommene Sonnett in Prose aufzulösen, so müßte es einem schwer werden, eine Sylbe, ein Wort, einen Satz aufzugeben, oder anders zu stellen, als alles das im Verse stehet. Ja sogar die überall äußerst richtig, voll und wohl tönenden Reimwörter müssen nicht nur irgendwo im Ganzen, sondern auch gerade an ihren Stellen, um des Inhalts willen, unentbehrlich scheinen. – Und ist denn das etwa nicht schwer genug? – Allerdings! Allein dem Meister der Kunst doch nicht so gar viel schwerer und zwangvoller, als jedes andre kleine Lied. Darf denn dieses etwas andres seyn, als gleichsam ein Hauch, leicht aus der Brust empor gehoben und von den Lippen weggeblasen; nicht aber herausgewürgt, gehustet, geräuspert, gekrächzet, geröchelt? [26] – Wie weit ich meinen eigenen Foderungen Genüge geleistet, das ziemet mir nicht zu entscheiden. Soviel aber darf ich behaupten, daß mein junger vortrefflicher Freund, August Wilhelm Schlegel, dessen großem poetischen Talent, Geschmack und Kritik, mit mannigfaltigen Kenntnissen verbunden, schon sehr frühe die gehörige Richtung gaben, nach jenen Foderungen ohne Anstoß Sonnette verfertigt hat, die das eigensinnigste Ohr des Kenners befriedigen müssen. Ich kann mich nicht enthalten, mit einem derselben diese Vorrede zu würzen, und mich zugleich dadurch zu rechtfertigen, daß ich das Wort der Weihe, in meinem ganzen Leben das erste, an diesen Lieblingsjünger, dessen Meister ich gern heißen möchte, wenn solche Jünger nicht ohne Meister fertig würden, nicht wider die Gebühr verschwendet habe:

         [27] Das Lieblichste.

  Sanft entschläft sich's an bemoosten Klippen,
Bey der dunkeln Quelle Sprudelklang.
Lieblich labt's, wann Glut das Mark durchdrang,
Traubensaft in Tropfen einzunippen.
  Himmlisch dem, der je aus Aganippen
Schöpfte, tönt geweihter Dichter Sang.
Göttlich ist der Liebe Wonnempfang
Auf des Mädchens unentweihten Lippen.
  Aber Eines ist mir noch bewußt,
Das der Himmel seinen liebsten Söhnen
Einzig gab, die Wonne milder Thränen;
  Wann der Geist, von Ahndung und von Lust
Rings umdämmert, auf der Wehmut Wellen
Wünscht in Melodieen hinzuquellen.

Das Sonnett ist übrigens eine sehr bequeme Form, allerley poetischen Stoff von kleinerm Umfange, womit man sonst nichts anzufangen weiß, auf eine sehr gefällige [28] Art an den Mann zu bringen. Es nimmt nicht nur den kürzern lyrischen und didaktischen sehr willig auf, sondern ist auch ein schicklicher Rahm um kleine Gemälde jeder Art, eine artige Einfassung zu allerley Bescherungen für Freunde und Freundinnen. –

 

Noch geziemet sich hier ein Wort der Entschuldigung wegen des Verzuges dieser schon so lange angekündigten neuen Auflage. Meine Absicht war gut, ob ich sie gleich nicht erreichet habe. Ich wollte nicht allein einer ziemlichen Anzahl poetischer Bruchstücke in meinem Pulte die Vollendung, sondern auch den bereits vorhandenen Gedichten einen höhern Grad der Vollkommenheit zu geben suchen, um hernach mit desto mehr Gemüthsruhe von der Muse des Gesanges ganz Abschied nehmen zu können. Allein das Clima, die Lage, die Leibes- und Seelenstimmung, worin ich mich [29] befand, waren Producten dieser Art nicht günstig; und vergebens hoffte ich von einem Jahr in das andre im Buche des Schicksals das Blatt umzuschlagen, worauf Verbesserung geschrieben stünde. Der Anfragen und Anmahnungen, welche indessen entweder herzliches Wohlwollen, oder leere Höflichkeit, bisweilen auch wohl Unbescheidenheit, an mich ergehen ließen, wurden mir denn doch zuletzt zu viele. Ich mußte mich daher entschließen, wenigstens das hiermit zu geben, was sich bis hieher kümmerlich hatte durchwintern lassen. Ich bin nun zwar längst nicht mehr eitel genug, mir einzubilden, als ob das Zurückbleibende ein erheblicher Verlust für das Publicum sey: indessen gibt es doch wohl immer noch gute Freunde und Freundinnen, denen es leid darum ist, und welche ihre Ansprüche darauf im Herzen behalten. Diese muß ich bitten, mich nun nicht weiter zu fragen, [30] von mir nichts mehr zu fodern, nichts mehr zu erwarten. Es kann Lagen und Stimmungen geben, in denen einem dergleichen, anstatt zu schmeicheln, nur zur Last fällt. Zwar will ich mich nicht selbst schon der absoluten Ohnmacht des Alters anklagen, wiewohl ich allerdings über den Johannistag des Lebens hinaus bin, und das Beyspiel der alsdann verstummenden Nachtigall die Dichter zu erinnern scheinet, daß sie ihren im Lenz ersungenen Ruhm, in dem schwülen Nachsommer, oder kalten, feuchten Herbste nicht wieder versingen sollen. Auch will ich mir nicht etwa das lächerlich vornehme Ansehn geben, als ob der Umgang mit der jugendlichen, Geist und Herz erhebenden Schönen unter der Würde eines gesetzten Mannes sey, der auch wohl außerdem noch eins und das andre gelernt hat, und auszurichten im Stande ist. Denn schien mir jemahls etwas des Spottes, der [31] Verachtung werth, so war es jener dünnethuende Bettelstolz, womit mancher Titulado sich beygehen ließ, auf die Leyer Apollons, die er wohl gar selbst in seiner Jugend gespielt, hernach aber mit dem Schreiberkiel vertauscht hatte, als auf eine Kinderklapper herab zu blicken. Die Ergreifung dieses gemeinen Lehr- und Nährkieles ist zwar keinesweges auch dem allerhochadeligsten Göttersohne zu verargen, wenn allerley Leibesbedürfnisse ihn endlich aus der Gesellschaft der schönen Pierinnen vertreiben. Aber deswegen nun von ihren göttlichen Gaben, und den edlen Vortheilen, welche diese zur Bildung des Geistes und des Gemüthes gewährten, wie von den Pfeffernüssen der Frau Pathe zu sprechen, das ist eine Thorheit, die glaube ich nur in dem gelehrten Deutschland Mode ist, und in England, Frankreich und Italien, wo man mehr auf Geistes- als Faustwerke hält, vermuthlich laut ausgepfiffen werden dürfte. [32] Vor einer solchen Thorheit wird mich mein Bißchen Vernunft und Einsicht in den Werth der Menschen und ihrer Beschäftigungen hoffentlich auf immer bewahren. Wenn ich den Umgang mit meiner göttlichen Freundinn für die Zukunft nicht eben verschwöre, – denn wer wollte das thun? – aber doch zu meiden mich bestrebe; so geschieht es lediglich um deswillen, damit während der Zeit, da die Herren und Damen sich, wie es ihnen selbst zu sagen beliebt, an meinen Liedern ergötzen, nicht ich selbst in mancher Rücksicht mich allzu unergötzlich befinden möge. Dergleichen wäre nun zwar nicht zu besorgen, wenn alle Dinge im werthen deutschen Vaterlande so stünden, wie sie unmaßgeblich stehen sollten. Denn alsdann würde z.B. ein von dem Publikum geliebter Schriftsteller, sey er nun Dichter oder Prosaist, quem Deus nec mensa nec Dea dignata cubili est, die be[33]sten Jahre seiner Geisteskraft und Thätigkeit auf die Vollendung einiger vorzüglichen Kunstwerke, die aber auch nun destomehr Unterricht und Vergnügen, desto mehr Ehre seinem Volk und Zeitalter gewährten, nicht zu seinem selbsteigenen Nachtheil verwenden. Vielmehr würde er, da diese Werke vermuthlich sehr gern gelesen und häufig gekauft werden würden, sich dadurch eine kleine, sichere und ihm wohl nicht zu mißgönnende Rente auf die unscheltbarste Weise erworben haben. Diese wäre vielleicht hinreichend, ihn gegen manche Unannehmlichkeiten zu schützen, welche die Energie seines Geistes schwächten und sein Leben verbitterten, ohne daß er weiter genöthigt wäre, irgend einer sterblichen fürstlichen oder unfürstlichen Seele zur Last zu fallen. Allein es soll weise, gerechte, dankbare und großmüthige Staatsvorsteher in Deutschland geben, denen vermuthlich ein weit höheres Maß von Einsicht und Beur[34]theilungskraft, als unsern philosophischen und juristischen Matadoren, vermuthlich ein unendlich feineres moralisches Gefühl, als den Edelsten unseres Volks zu Theil geworden ist. Diese sollen nicht der Meinung seyn, daß ein Werk der Litteratur auch alsdann noch seinem Verfasser oder Verleger eigenthümlich gehöre, wann es in das Publikum zu jedem beliebigen Gebrauche, außer zum Nachdrucke, ausgegangen ist. Eben dieselben sollen auch nicht dafür halten, daß es die gelehrten, geist- und herzreichen, geschmackvollen, beredten Schriftsteller in Prosa und Versen sind, welche dem Verstande Licht, dem Herzen Rechtschaffenheit und Adel, der ganzen Empfindsamkeit Stimmung zu den schönsten und edelsten Melodieen, den Sitten Glätte, Geschmeidigkeit und Anmuth, allen Leibes- und Geisteskünsten Vollkommenheit und Schönheit verleihen. Sie sollen es sich nicht träumen lassen, daß jene Schriftsteller es sind, [35] welche den Fürstenthronen Festigkeit und Glanz, den Staaten Reichthum, Macht und Ehre, und überhaupt dem ganzen menschlichen Geschlecht mehr Heil und Segen zur Vollkommenheit und Glückseligkeit in dieser und jener Welt gewähren, als ihre Kriegsschaaren mit aller Gewalt wieder niederzusäbeln, ihre Feuergewehre niederzudonnern im Stande sind. Nun, wem glauben sie denn wohl sonst dieses alles, wem glauben sie es verdanken zu müssen, daß sie nicht mehr über Wilde und Barbaren, sondern über aufgeklärte, edle, gesittete, milde und getreue Völker herrschen, die sie nicht mehr für jeden wirklichen, oder vermeintlichen Frevel, nicht mehr für jede Thorheit, sogleich von Land und Leuten verjagen; unter denen sie ohne Leibwache, mit und ohne Ueberrock, sicher vor Gift und Dolch, umherwandeln, essen, trinken, und bey ihren Weibern oder Mätressen schlafen können? – Welche Frage! Wem anders, [36] als – den Nachdruckern? Christian Gottlieb Schmiedern und Consorten!

 

Diese sind ihnen die wahren Verbreiter der Aufklärung, der Tugend, des guten Geschmackes, der feinen Lebensart und Sitten. Es kann daher gedachten weisen, gerechten, dankbaren und großmüthigen Staatsvorstehern nicht einfallen, den Schriftstellern, oder deren rechtmäßigen Verlegern ihr laut angeschrienes Eigenthum durch allgemeine, beständige, wirksame Gesetze zu sichern, oder die Schriftsteller, als Schriftsteller, *) für die Wohlthaten, so [37] sie ihnen und ihren Staaten erweisen, zu belohnen. Was sage ich belohnen? Es [38] kann sie bey jener Denk- und Sinnesart auch nicht einmahl ein Gefühl der Scham [39] anwandeln, das Brot, welches die Schriftsteller, ohne ihr durchlauchtiges, hochgebornes und excellentes Zuthun, sich durch sich selbst, durch ihre nach langem, schweren und mühsamen Fleiß endlich vollendeten Werke erworben haben würden, dem ersten dem besten Hunde Preis zu geben, der seine Hütte unter dem Thron ihrer Weisheit, Gerechtigkeit, Dankbarkeit und Großmuth aufschlägt. Weil denn nun aber [40] die Umstände so beschaffen sind und eine Aenderung sobald nicht zu erwarten stehet, was bleibt dem Schriftsteller übrig? Soll er sich etwa bey dem aufklärenden, Tugend und Geschmack verbreitenden Nachdrucker als Ballenbinder verdingen? Besser stünde er sich dabey unstreitig, als bey der Schriftstellerey, wenn ohne diese auch nur immer etwas zu bündeln und zu schnüren wäre. Oder soll er, anstatt die Blüthe seines Lebens und seiner Kraft einem oder zwey vortrefflichen, vollendeten, dauernden Nationalwerken aufzuopfern, jede Messe mit Alphabeten voll Mittelmäßigkeit oder Erbärmlichkeit beschicken? Denn nur die Engel Gabriel und Raphael sind vermuthlich im Stande, das Vortreffliche in der Poesie, Philosophie, Geschichte, jedes halbe Jahr in so starken Ballen zu liefern, daß bey der Gefahr des Nachdruckes der Aufwand an Oel, Holz und Schreibmaterialien daran gewonnen werden mag. Da es nicht Jedermanns Sache ist, seine Ehre vor Welt [41] und Nachwelt auf jeder Messe für ein paar Louisd'or Trankgeld feilzubieten; so wird es weit gerathener seyn, sich in dunkler Stille zur geringsten Handarbeit, zum Abschreiben, zum Abc-lehren, ja zum Graben selbst zu entschließen, als auf Werke der Homere, der Sophokles, der Plato, der Xenophon, der Tacitus, der Montesquieu, der Gibbon, der Klopstocke, Wielande und Kante sich zu verwenden. In der Erwartung, meine armen Gedichte, deren ich gewiß ungern und sehr verschämt so nahe bey jenen großen Nahmen erwähne, je mehr sie das Publicum etwa ergötzen möchten, desto eher von den genannten erhabenen Wohlthätern unserer Nation, unter gnädigster Protection bestmöglichst verbreitet zu sehen, mache ich denn also hiermit, unter Verzichtleistung auf Gerechtigkeit, Dank und Großmuth, welche nicht mir, sondern Schmiedern und Consorten gebühren, dem werthen Publicum meine demüthige Verbeugung und greife von nun an – zum Spaden. Es ist nun freylich bey [42] so bewandten Umständen nicht möglich, daß ein lern- und lustbegieriges Publicum noch zwey andere ähnliche Bände, oder was sonst eine Mangel- und Verdrußlose Lage hervorbringen möchte, erhalte. Wenn das aber auch Iliaden und Theodiceen wären, so ist doch offenbar ein solcher Verlust eine wahre Kleinigkeit gegen den halben oder ganzen Gulden, den Ihre Majestäten, Durchlauchten, Hoch- und Hochwohlgeborne Excellenzen, und ein ganzes wirthschaftliches Publicum an dem nächstbevorstehenden gnädigst privilegiirten Nachdrucke gewinnen werden. Ein solcher Gewinn ist es schon werth, die Nationalwohlthäter Schmieder und Consorten dankbar zu verehren und zu segnen. Amen.

Göttingen, im April 1789.

Bürger.      

 

 

[Die Anmerkungen stehen als Fußnoten auf den in eckigen Klammern bezeichneten Seiten]

[12]   *) Ich erinnere mich, daß mir in meinen Schuljahren die Flöte, die doch ein so lieblich tönendes Instrument ist, auf lange Zeit dadurch verleidet wurde, daß eine Menge meiner Mitschüler zur Linken und Rechten, über und unter, hinter und vor mir, die Flöte blasen lernten, und Tag für Tag mir die Ohren darauf voll dudelten.   zurück
[19]   *) The Spectator. No. 70.   zurück
[22]   *) S. T. Merkur von 1776. zweytes und drittes Vierteljahr.   zurück
[24]   *) Poëtique Ch. II. v. 83. seq.   zurück
[36]   *) Sie werden doch wohl nicht das für Belohnung schriftstellerischer Verdienste halten, wenn sie etwa einen großen Geist und Gelehrten zu einem Amt anstellen, wo er für die ihm oft kärglich genug gereichte Leibesnahrung und Nothdurft zu ihrem und des Staates besondern Privatnutzen arbeiten muß, daß ihm der Athem ausgehen möchte. Es gibt freylich <Schmeichler> ge[37]nug, die so was für Mäzenatenthaten ausschreyen, so wie es auch nicht an durchlauchtigen, hochgebohrnen und excellenten Pfauen und Straußen fehlet, die das für wahr halten. Allein ein edler und tapferer Mann muß, Kraft der ihm zuständigen menschlichen, europäischen und deutschen Bürgerfreyheit, die er für sich, seine Mitbürger und Nachkommen mit Gut, Blut und Leben zu behaupten immer bereit seyn soll, sich nie scheuen, klare und offenbare Wahrheit zum allgemeinen Heil auch den ersten Staatsdienern vorzupredigen, wenn es gleich schon oft genug von Andern vergeblich geschehen seyn sollte. Ein wiederholter Tropfenfall höhlt doch endlich auch Felsen aus. – Praeterea censeo, Carthaginem esse delendam – sprach Cato, der Censor, Kraft der Befugniß und Sitte römischer Senatoren, so oft er in der Staatsversammlung auch über ganz andere und fremde Gegenstände gestimmt hatte; und endlich stürzte das wiederholte [38] Wort Carthago. Man braucht aber ganz und gar nicht ein Mitglied im Rathe der Archonten zu seyn, um über Gesetz- und Regierungsmängel des Staates, dessen Bürger man ist, ein freyes, offenes und deutsches Censeo sagen zu dürfen, was auch Sultans- und Bassen-Politik dagegen einwenden möchte. Alle National-Schriftsteller sollten es zur Sitte machen, ihre Schriften, besonders diejenigen, die für ein größeres Publicum bestimmt sind, unablässig und so lange mit einem ähnlichen censeo zu besiegeln, bis endlich die Hyder Nachdruck vernichtet wäre. Habe ich diese Worte wider den Beyfall der Weisen, der Gerechten und Edlen meines Vaterlandes niedergeschrieben, so werde mir wie einem Verbrecher das Haupt abgeschlagen! Vereinigen sich aber ihre tausend und abermahls tausend Stimmen mit der meinigen: so blicke dereinst eine bessere Nachwelt mit Verdruß und Mitleiden auf ein Zeitalter [39] zurück, da eines Jeden, und nur das Eigenthum des gleichsam in den Stand der Schutz- und hülflosen Natur zurückgeworfenen Schriftstellers nicht unverletzlich und heilig war. – Soll er etwa nun auch das Naturgesetz ausüben und den Nachdrucker niederschießen, niederbohren, wo er ihn trifft? Daß das unter solchen Umständen erlaubt seyn müsse, getraue ich mir auszuführen; und nur ein Muster menschlicher Inconsequenz soll es wagen, mich widerlegen zu wollen. Denn nach eben demselben Recht brechen Staaten und Völker einander die Hälse.   zurück

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Gottfried August Bürger: Gedichte.
Erster Theil. Göttingen: Dieterich 1789, S. 3-42. [PDF]

PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10106515-2
URL: http://www.gottfried-august-buerger-molmerswende.de/gedichte_1789_erster_theil.pdf
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/008975242
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Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

 

 

Kommentierte Ausgaben

 

 

 

Werkverzeichnis


Verzeichnis

Goedeke, Karl: Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen.
3. Aufl. Bd. 4.1. Dresden: Ehlermann 1916, S. 988-1022.
URL: http://www.archive.org/details/GoedekeGrundrissZurGeschichteDerDeutschenDichtung-3-41



Bürger, Gottfried August: Gedichte.
Göttingen: Dieterich 1778.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10912053-9
PURL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN67002712X
PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001B07E00000000
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/011922660
URL: https://archive.org/details/bub_gb_YvlPAAAAcAAJ

Bürger, Gottfried August: Gedichte.
Erster Theil. Göttingen: Dieterich 1789.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10106515-2
URL: http://www.gottfried-august-buerger-molmerswende.de/gedichte_1789_erster_theil.pdf
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/008975242
URL: https://archive.org/details/bub_gb_mFYuAAAAYAAJ

Bürger, Gottfried August: Gedichte.
Zweyter Theil. Göttingen: Dieterich 1789.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11303314-5
URL: http://www.gottfried-august-buerger-molmerswende.de/gedichte_1789_zweiter_theil.pdf
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/008975242
URL: https://archive.org/details/bub_gb_y1YuAAAAYAAJ


Bürger, Gottfried August: Lehrbuch der Ästhetik.
Hrsg. von Karl v. Reinhard.
Bd. 1. Berlin: Schüppel 1825.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10573604-5
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/005716974
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/005716974

Bürger, Gottfried August: Lehrbuch der Ästhetik.
Hrsg. von Karl v. Reinhard.
Bd. 2. Berlin: Schüppel 1825.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10573605-0
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/005716974
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/005716974




Briefe von und an Gottfried August Bürger.
Hrsg. von Adolf Strodtmann. 4 Bde. Berlin: Paetel 1874.

Bd. 1: Briefe von 1767–1776.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183617-6
URL: http://www.archive.org/details/bub_gb_HA4TAAAAYAAJ
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688

Bd. 2: Briefe von Briefe von 1777–1779.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183618-2
URL: http://www.archive.org/details/bub_gb_AoDfAAAAMAAJ
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688

Bd. 3: Briefe von Briefe von 1780–1789.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183619-2
URL: http://www.archive.org/details/bub_gb_PocoAQAAIAAJ
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688

Bd. 4: Briefe von Briefe von 1790–1794.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183620-4
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688



Bürger, Gottfried August: Lehrbuch der Ästhetik.
Neu hrsg., eingeleitet und kommentiert von Hans-Jürgen Ketzer.
Berlin: Scherer 1994.

Bürger, Gottfried August: Briefwechsel.
Hrsg. von Ulrich Joost und Udo Wargenau.
Bd. 1 ff. Göttingen: Wallstein Verlag 2015 ff.

 

 

 

Literatur: Bürger

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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer