Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart
oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe

 

 

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[Lyrische Poesie]

 

Lyrische Poesie (Lyrik), diejenige Hauptgattung der Poesie, welche das innere Gefühlsleben darstellt; sie ist der vollendete Ausdruck einer Empfindung od. Anschauung im höchsten Wohlklange der Sprache. Ihr Charakter ist idealisirte Darstellung (Objectivirung) bestimmter subjectiver Gefühle (als des Stoffes) in der Totalität einer vollendeten ästhetischen Form. Die L. P. ist unter allen Arten der Poesie am geeignetsten für die Begleitung der Tonkunst, mit der sie in den frühesten Zeiten immer Hand in Hand ging, daher auch ihr Name, von der begleitenden Lyra. Begeisterung wird bei dem lyrischen Dichter (Lyriker) in vorzüglichem Grade vorausgesetzt. Dadurch entstehen große, erhabene, ungewöhnlich lebhafte Vorstellungen, Bilder u. Gefühle, welche sich dem Gedicht selbst mittheilen u. Lyrischer Schwung genannt werden. Der Ton des, dem lyrischen Gedicht eignen subjectiven Gefühls, kann als Ton der Freude bis zur höchsten Stufe derselben, zum Ausdruck des Entzückens, u. als Ton der Traurigkeit bis zur höchsten Steigerung derselben in der tiefsten Wehmuth, nach sehr verschiedenen Graden des Schwunges dieses Gefühls schattirt werden. Diese Schattirungen in dem Tone des ausgedrückten Gefühls bestimmen den Charakter der einzelnen Untergattungen der Lyrischen Form. Diese sind: Lied, Ode, Hymne, Dithyrambus, Cantate (Lyrische Gedichte im engern Sinne); Elegie, Heroide (Lyrisch-elegische Gedichte); das lyrische Lehrgedicht (Lyrisch-didaktisches Gedicht, s. Lehrgedicht). Was das Metrum der lyrischen Gedichte betrifft, so werden zwei od. mehrere Verse zu Systemen od. Strophen (s. d.) verbunden, deren Anordnung bei hohem Schwunge frei u. kühn zu sein pflegt. Doch bleibt, bei aller Mannigfaltigkeit der Strophen, Einheit des Rhythmus in der Mannigfaltigkeit der Form Gesetz. Wie die trochäischen Rhythmen sich mehr zum gelassenen Gange des Liedes eignen, so entsprechen die daktylischen u. choriambischen mehr dem feierlichen Aufschwunge der Ode; päonische u. andere kühnere Rhythmen bleiben für Hymnen u. Dithyramben. Was in der L-n P. von den Dichtern der einzelnen Völker geleistet worden ist, s. u. den Nationalliteraturen.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart
oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe.
Vierte, umgearbeitete und stark vermehrte Auflage.
Zehnter Band: Lackfarbe-Matelea.
Altenburg: Pierer 1860, S. 653.

Ungezeichnet.

URL: https://books.google.fr/books?id=PEkVAAAAYAAJ
URL: https://digitale-bibliothek-mv.de/viewer/image/PPN786416505/1
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/007910236

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Pierer   online
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Enzyklopädien-Repertorium

 

 

 

Literatur

Brandmeyer, Rudolf: Das historische Paradigma der subjektiven Gattung. Zum Lyrikbegriff in Friedrich Schlegels "Geschichte der Poesie der Griechen und Römer". In: Wege in und aus der Moderne. Von Jean Paul zu Günter Grass. Herbert Kaiser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Werner Jung u.a. Bielefeld 2006, S. 155-174. [PDF]

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Kap. I: Netzwerk Wissen. Deutschsprachige Lexika im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

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